Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
McCauley, der sonst nie um Worte verlegen war, ebenfalls nicht in Gesprächslaune zu sein; an der Wand des Empfangszimmers hockend, wartete er ab, hatte sich so postiert, dass er durch den Türspalt in die Eingangshalle spähen konnte, während Quentin hinter der Tür kauerte und angestrengt lauschte. Wie lange sie so verharrten, beinahe reglos und ohne ein Wort zu wechseln, hätte Quentin später nicht mehr zu sagen vermocht – bis er plötzlich ein Geräusch hörte.
Was genau es war, konnte er nicht feststellen, aber ein Blick zu McCauley verriet ihm, dass dieser es ebenfalls gehört hatte. Der Mediziner nickte und hob langsam die Pistole auf, die er neben sich auf dem Boden liegen hatte – für alle Fälle, wie er versichert hatte. Quentin hatte sich mit einem einfachen Knüppel aus Holz begnügt, der ungleich leichter und handlicher war als die Streitaxt, zu der er vergangene Nacht in seiner Not gegriffen hatte.
Das Geräusch wiederholte sich, dann waren Schritte zu hören, nur ganz leise und flüchtig, doch das hohe Gewölbe der Eingangshalle verstärkte sie – und plötzlich war ein Schatten wahrzunehmen, der im Halbdunkel vorüberhuschte und offenbar zur Bibliothek wollte.
Quentin merkte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, sein Pulsschlag steigerte sich spürbar. Also doch , war alles, was er in diesem Augenblick denken konnte. McCauley und er verständigten sich mit einem weiteren Blick – und handelten.
Während Quentin die Tür aufriss, stürmte McCauley bereits hinaus, die geladene Pistole schussbereit im Anschlag. »Halt!«, drang sein Ruf durch die Eingangshalle. »Keine Bewegung!«
Mit einer Verwünschung auf den Lippen fuhr der Kerl herum, der derbe Bauernkleidung und als Maske ein Tuch vor dem Gesicht trug wie ein hergelaufener Bandit. Sein Brustkorb hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen, das Tuch blähte sich, Schweiß stand ihm auf der Stirn und tränkte sein dunkles Haar.
»Schön ruhig, dann geschieht Ihnen nichts«, versicherte Quentin mit vor Aufregung bebender Stimme.
Die gehetzten Blicke des Vermummten pendelten zwischen ihm und McCauley hin und her, offenbar suchte er nach einer Möglichkeit zur Flucht.
»Wer sind Sie, und was wollen Sie hier?«, fragte Quentin. »Nehmen Sie die Maske ab, aber ganz langsam, verstanden?«
Die Augen des Fremden blitzten feindselig im Halbdunkel – oder war da auch eine Spur Verwirrung? Quentin vermochte es nicht festzustellen, denn in diesem Moment überstürzten sich die Ereignisse.
»Vorsicht«, schrie McCauley, »er …«
Weiter kam er nicht, denn noch ehe er eine weitere Warnung aussprechen oder auch nur den Abzug drücken konnte, brach der Vermummte zur Seite aus und kam direkt auf Quentin zu. In einem Reflex hob dieser den Knüppel, doch die Wucht, mit der der Vermummte auf ihn prallte, war so groß, dass an Abwehr nicht zu denken war. Quentin wurde von den Beinen gerissen und stürzte. Der Knüppel entrang sich seinem Griff, dafür bekam er noch im Fallen seinen vermummten Gegner zu fassen und riss ihn mit zu Boden. Hart schlugen beide auf den Steinfliesen auf, und ein wüstes Gerangel setzte ein. Quentin konnte kaum etwas sehen, trat und schlug mehr oder minder planlos um sich, in der Hoffnung, seinen Gegner an der Flucht zu hindern – vergeblich.
Der Vermummte schlug seinerseits zu, und zwar mit ungleich größerem Erfolg. Seine geballte Rechte explodierte an Quentins Schläfe, genau dort, wo ihn bereits der Knüppel der Räuber getroffen hatte, und ließ ihn trotz des herrschenden Halbdunkels helle Flecke vor Augen sehen. Halb benommen, wie er war, versuchte Quentin, seinen Gegner festzuhalten, den Schmerz so gut wie möglich ignorierend. Doch die Faust des Mannes ging ein zweites Mal nieder, und diesmal traf sie Quentin mitten ins Gesicht.
Der Schmerz war so heftig, dass ihm Tränen in die Augen schossen und er alles nur noch verschwommen wahrnahm, zudem hatte er plötzlich Blut in der Nase und bekam keine Luft mehr. In seiner Not tat er das Einzige, wozu er noch imstande war, und packte blindlings zu. Dabei bekam er die Maske des Mannes zu fassen, der sich soeben von ihm lösen und seine Flucht fortsetzen wollte. Der Stoff riss, und die Züge des Mannes kamen zum Vorschein, allerdings nur für einen Augenblick, und durch die Schleier seiner Tränen vermochte Quentin wenig mehr zu erheischen als den flüchtigen Eindruck von einem jungen, vor Anstrengung geröteten Gesicht. Dann hatte sich der Kerl auch schon von
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