Das Vermächtnis der Schwerter
»Thalia wurde in der Kriegerschule ausgebildet wie auch viele andere Kinder. Nachdem die Schule abgebrannt war, mussten wir allerdings beinahe alle unsere kleinen Schwertschüler wieder nach Hause zu ihren Familien schicken, da wir ihnen keine Unterkunft mehr bieten konnten. Thalia bildete eine Ausnahme: Sie musste bei uns bleiben, weil sich ihre Angehörigen nicht mehr aufspüren ließen.« Er sah Rai herausfordernd an. »Und, habe ich die Prüfung bestanden?«
Rai nickte zufrieden, denn zum einen war er nun wirklich überzeugt, dass diese Leute es ehrlich mit ihnen meinten, zum anderen empfand er Erleichterung darüber, dass Thalia offenbar kein weiteres Übel widerfahren war. »Es wundert mich nicht, dass ihr Thalias Mutter nicht finden konntet«, erklärte er mit einem Seitenblick auf Barat, »denn sie wurde ebenfalls hierher nach Andobras gebracht. Sie heißt Belena und gehört zu den befreiten Sklaven. Ich würde ihr gerne erzählen, wo ihre Tochter jetzt ist und dass es ihr gut geht. Wahrscheinlich wird sie dann sogar versuchen, nach Hause zurückzukehren, wenn ein Schiff in diese Richtung ausläuft.«
»Thalia war bei bester Gesundheit, als wir Seewaith verließen«, versicherte Meatril. »Sie hat nicht viel gesprochen, eigentlich gar nicht, aber unsere Schwertschwester Tarana hat sich ihrer angenommen und die beiden scheinen sich gut zu verstehen.«
Ungläubig riss Rai die Augen auf. »Ist das etwa dieselbe Tarana, in die Arton verliebt war? Er denkt nämlich, er hätte seine Geliebte getötet!«
»Bei den Göttern!«, rief Meatril erschüttert und auch die anderen Ecorimkämpfer wirkten entsetzt. »Natürlich muss er das denken, denn er sah sie ja zusammenbrechen, von einem seiner Pfeile getroffen. Aber die Verwundung war nicht so schwer, sie hat überlebt. Und das ist noch nicht alles: Sie erwartet sogar ein Kind von Arton.«
Rai legte die Hände vors Gesicht und stieß einen leisen Laut der Verzweiflung aus. »Langsam glaube ich wirklich«, murmelte er mehr zu sich selbst als zu den anderen, »dass die Götter es mit Arton nicht gut meinen. Wäre er nur etwas länger hier geblieben, dann hätte er alle diese Dinge erfahren und sich vielleicht mit seinem Schicksal versöhnt. Aber jetzt ist er fort, er weiß nichts von seinem Glück und folgt weiter irgendwelchen dunklen Pfaden, die ihn wer weiß wohin führen werden.«
Einen Moment herrschte betretenes Schweigen unter den Anwesenden, dann ergriff Barat von Neuem das Wort: »Ich bedaure es sehr, dass Arton diese guten Neuigkeiten nicht mehr hören konnte, es hätte ihn sicherlich aus seiner dunklen Gemütslage befreit. Nichtsdestotrotz bin ich nach den vielen Einzelheiten, die ich von unseren Gästen über Arton und seine Kriegerschule gehört habe, zu der Überzeugung gelangt, dass wir ihnen Glauben schenken können. Aber ich will natürlich nicht für alle sprechen. Deshalb würde ich vorschlagen, jeder äußert nun seine Meinung und wir stimmen ab, ob wir ihnen vertrauen oder nicht. Ich jedenfalls bin dafür – Rai, du auch?« Er sah seinen jüngeren Gefährten an und dieser nickte entschlossen. »Was ist mit Euch, Kommandant Garlan?«
»Ich finde nach wie vor, dass es ein zu großes Risiko ist, diesen Fremden etwas über unsere Verteidigung zu offenbaren«, antwortete der Offizier mürrisch. »So nötig brauchen wir ihre Hilfe nicht.«
»Gut«, meinte Barat, »das war wohl ein Nein. Was ist mit dir, Kawrin?«
Der junge Seewaither hatte sich bislang nicht geäußert, sondern die meiste Zeit mit finsterer Miene die Ecorimkämpfer begutachtet. »Ich vertraue ihnen genauso wenig, wie ich Arton vertraut habe«, erwiderte er jetzt überraschend feindselig. »Selbst wenn sie ihn wirklich kennen, bedeutet das nicht, dass sie uns wohlgesinnt sind. Ich denke wie der Kommandant.«
Erstaunt über Kawrins überdeutliche Ablehnung zog Barat die Augenbrauen in die Höhe. »Na, dann liegt es jetzt bei dir, Erbukas. Deine Stimme entscheidet.«
Der Bergmeister schien nicht besonders erbaut über diese Verantwortung, rang sich aber nach einigem Zögern doch dazu durch, Stellung zu beziehen: »Wenn man das Ganze nüchtern betrachtet, dann sind unsere Aussichten, gegen die gesamte Flotte dieses Inselherrn Megas Arud’Adakin zu bestehen, sehr gering. Da macht es kaum einen Unterschied, ob er auch noch die Schwachpunkte unserer Verteidigung kennt. Deshalb sage ich: Nehmen wir jede Hilfe, die wir kriegen können, auch wenn dies mit einem gewissen Risiko verbunden
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