Das Vermächtnis der Schwerter
Meatril her, bis die beiden schon die Fackeln der Städtermiliz am Kai sehen konnten. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich ein wenig umsehe?«, fragte sie unvermittelt.
»Eigentlich nicht«, erwiderte Meatril etwas erstaunt. »Es sind noch ein paar Stunden bis zum Morgengrauen. Wenn wir Glück haben, bleibt bis dahin alles ruhig. Suchst du etwas Bestimmtes?«
»Ich will nur ein wenig herumschnüffeln.« Sie grinste. »Du weißt schon, was Spione eben so tun.«
Meatril musterte sie mit einem eigenartigen Ausdruck in seinen Augen. »Du hast gerne deine kleinen Geheimnisse, das habe ich schon bemerkt. Wie du willst.« Er zögerte. »Pass auf dich auf, du eigenwilliger Schmetterling.«
Ein warmes Lächeln überzog Shyralis Gesicht. Dann verschwand sie wortlos mit ihrer Laterne um das nächste Häusereck.
Es begann, als der Himmel bereits im ersten Widerschein von Cits Licht erstrahlte, das Meer aber noch in tiefem Schatten lag. Ein gewaltiger Klotz senkte sich plötzlich aus dem Himmel, stürzte noch vor der Kaimauer ins Wasser und sandte einen Schauer von aufspritzenden Tropfen bis in den Hafen.
»Verteilt euch!«, befahl Meatril, so laut es seine immer noch strapazierte Stimme zuließ. »Es dürfen niemals zu viele an einem Fleck stehen. Sie schießen sich noch ein, doch schon der nächste Stein kann die Stadt treffen. Eure Familien sind in der Festung in Sicherheit, aber wir versuchen, hier so lange auszuharren wie möglich.«
Während die Miliz seine Anweisungen befolgte, dachte Meatril noch einmal darüber nach, ob er sich nicht doch lieber mit seinen Leuten in den Schutz der nun weitgehend leeren Häuser zurückziehen sollte. Aber es hatte seinen Grund, warum er sich dafür entschieden hatte, hier direkt am Hafenbecken Stellung zu beziehen: Er fürchtete eine rasche Landung von Megas’ Truppen. Vermutlich würden sie mit kleinen Ruderbooten versuchen, die Sperrkette zu unterlaufen, und wenn das geschah, mussten die Andobrasier die Angreifer sofort mit aller Macht zurückzuschlagen. Konnten sich die gefürchteten Schwarzlanzer, die Megas sicherlich für diese gefährliche Mission entsenden würde, erst einmal irgendwo am Kai festsetzen, dann war die Stadt so gut wie verloren. Zudem boten die Häuser gegen die massiven Katapultgeschosse im Moment ohnehin nur wenig Deckung für die Städtermiliz und unter freiem Himmel konnten sie wenigstens den heranfliegenden Steinhagel im Auge behalten und notfalls ausweichen.
Lautes Quietschen, gefolgt von einem dumpfen Knarren, drang von der Festung herüber. Der Arm eines der Katapulte im Burghof war in die Höhe geschnellt und stand nun senkrecht, sodass der obere Teil über die Mauerkante ragte. Ein Steinquader in Truhengröße flog in Richtung der feindlichen Schiffe, deren Segel sich langsam aus dem Morgendunst zu schälen begannen. Ähnlich wie der vorige Versuch der Angreifer erwies sich auch dieser Schuss der Verteidiger als viel zu kurz. Dennoch wurde er von der Miliz am Hafen und auch von der Festungsbesatzung freudig bejubelt, handelte es sich doch um den allerersten Einsatz eines der gerade erst zusammengesetzten Katapulte. Unter diesen Voraussetzungen musste bereits der bloße Abschuss eines einzelnen Steins als großer Erfolg gewertet werden.
»Deckung!«, brüllte Targ im gleichen Augenblick. Da schlug auch schon ein weiterer Brocken auf der Kaistraße ein. Er zersplitterte in zahllose kleine Stücke und hinterließ einen Krater. Ein paar Schreie wurden laut. Zwar hatten alle dem Geschoss auszuweichen vermocht, doch die umherfliegenden Splitter waren nicht wirkungslos geblieben.
»Beim nächsten Einschlag schützt euer Gesicht mit den Armen!«, schrie Meatril.
Es blieb keine Zeit für weitere Befehle. Megas’ Katapultschützen hatten die korrekte Ausrichtung der Schiffsschleudern gefunden. Jetzt konnten alle gleichzeitig ihre tödliche Last in die Luft befördern. Ein Schwarm von mindestens einem Dutzend entsetzlich groß aussehender Felsenkugeln kam unerbittlich auf Andobras zu.
Am Hafen liefen mit einem Mal alle durcheinander wie bei einer Hasenjagd. Von gezieltem Ausweichen konnte keine Rede mehr sein. Doch es blieb auch kaum Zeit, zu reagieren. Schon fiel der vernichtende Steinregen auf die Stadt herab. Dächer wurden durchschlagen, Mauern zertrümmert, ganze Häuser zum Einsturz gebracht. Die niederdonnernden Steine schickten immer wieder einen Schauer von nadelspitzen Splittern durch die Luft, die teilweise die Kleidung durchbohrten und sich
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