Das Vermächtnis der Schwerter
sie, dass Deran nun auf sich allein gestellt war.
Da drang vom Hafen ein Geräusch herauf, das alle aufhorchen ließ. Es war das Stampfen zahlloser Füße. Meatril und Targ warfen einen Blick über die Schulter. Nur knapp hundert Schritt entfernt erkannten sie Rai und Kawrin, dahinter folgten Barat, Erbukas und Kommandant Garlan. Sie führten die gesamte Streitmacht von Andobras die steile, mit Trümmern übersäte Hauptstraße hinauf. Mit den Waldbewohnern und den Xeliten brachten sie es auf etwa zweihundertfünfzig Kämpfer zusätzlich zu denen, die bereits in den Straßen fochten. Alle waren gut bewaffnet und dank der Ausrüstung aus Tar´Tianoch auch gepanzert oder zumindest in der Eile mit Schilden ausgestattet worden. Mehrere Armbrustschützen hatten sich auf noch intakten Dächern verteilt und nahmen von dort die in den Gassen kämpfenden Schwarzlanzer aufs Korn. Immer wieder schickte Kommandant Garlan einige kleinere Gruppen in die Seitenstraßen, wo er eine der vielen zerstreuten, feindlichen Einheiten ausgemacht hatte.
Mit dieser Verstärkung im Rücken verdoppelten die beiden Ecorimkämpfer ihre Anstrengungen für einen Durchbruch. Doch die Schwarzlanzer waren nicht umsonst so gefürchtet. Ihre unerschütterliche Disziplin bewahrte sie davor, ihre Formation aufzugeben oder gar zu fliehen. Sie hielten aus, wichen keinen Schritt zurück und gaben sich nicht die geringste Blöße. Selbst als Rai, Barat und all die anderen Targ und Meatril zu Hilfe eilten und die Übermacht der Andobrasier an dieser Stelle zunehmend erdrückend wurde, musste jeder Schwarzlanzer einzeln niedergestreckt werden, bis der Weg endlich frei war.
Noch während der letzte Gegner tödlich getroffen zusammensank, stürzten Targ und Meatril an Eringars Seite. Die große Menge an Blut, die seinen leblosen Körper umgab, ließ keinen Zweifel, dass er die Reise zu Xelos’ Hallen angetreten hatte. Meatril kniete neben Eringar nieder und ergriff vorsichtig dessen Hand. Sein Gesicht war beinahe so fahl wie das des toten Etecrari.
Targ lief unterdessen weiter bergauf. Etwa zwanzig Schritt entfernt, schon ein wenig außerhalb der Stadt, hatte er Deran entdeckt, der offensichtlich vollkommen erschöpft am Straßenrand saß, mit dem Rücken gegen die Felswand gelehnt. Er blutete ebenfalls stark aus mehreren Wunden.
»Bruder!«, rief Targ. Seine Stimme überschlug sich. »Wie schlimm bist du verletzt?«
Deran erwiderte zuerst nichts, sondern konzentrierte sich darauf, stoßweise Atem zu holen. »Ich … er … ist mir entwischt«, brachte er schließlich mühsam hervor, »ich … habe ihn … nicht einmal … verwunden können.«
Targ legte den Arm seines Bruders über die eigenen Schultern und versuchte, ihm aufzuhelfen. »Kannst du gehen?«, erkundigte er sich besorgt.
Ächzend und schwer auf Targ gestützt, kam Deran wieder auf die Füße. »Das geht schon«, schnaufte er, dann packte er seinen Bruder am Arm. »Hör zu! Lass diesen Bastard nicht entkommen. Er ist auf dieser Straße ins Landesinnere geflohen. Hol ihn dir … du warst immer der bessere Schwertkämpfer von uns beiden. Bei den Göttern, räche Eringar … und Estol … und all die anderen.« Halt suchend tastete er nach der Felswand. »Tu das für mich.«
Targ starrte seinen Bruder eine Weile an. »Das werde ich, versprochen. Kommst du zurecht?«
Deran nickte. »Ja. Geh jetzt! Megas’ Vorsprung wächst mit jedem Wort, das wir hier wechseln.«
Targ drückte kurz Derans Arm, dann lief er los.
Als sein Bruder verschwunden war, wurde Deran von einem gurgelnden Husten geschüttelt. Kraftlos ließ er sich an der Felswand wieder in eine sitzende Position hinabgleiten. Er sog röchelnd die Luft ein. Sein Blick wanderte unwillkürlich aufs Meer hinaus. Dort konnte er die Schiffe Ho’Nebs ausmachen, wie sie mit aufgeblähten Segeln in Richtung Süden davonfuhren. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Es hatte sich gelohnt, trotz allem. Und immerhin musste Eringar nun den Weg in Xelos’ Unterwelt nicht alleine beschreiten. Auch wenn es hart für Targ werden würde, er konnte sehr gut auf sich selbst aufpassen. Es gab keine Bitterkeit in Derans Herz. Alles kam, wie es kommen musste. Er schloss seine Augen. Es würde ihm eine Ehre sein, an der Seite des tapferen Etecrari durch Xelos’ Feuer zu treten. Den letzten Pfad an der Seite eines Freundes zu gehen – was konnte man mehr verlangen.
GEJAGTER JÄGER
D a der Kampf in der Stadt noch lange nicht entschieden war,
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