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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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brauchen!« Eva seufzte erneut und fragte sich, ob sie Michel wieder ein paar deutliche Worte ins Gesicht sagen sollte. Genau wie die anderen, die ihm und Marie nach Kibitzstein gefolgt waren, hatte sie dies bereits mehrfach getan, ohne dass ihre Mahnungen Erfolg gezeigt hätten. Nun fürchtete sie, ihn beim nächsten Mal so zu erzürnen, dass er sie aus der Burg wies. Ihre alten Knochen sehnten sich nämlich nicht danach, noch einmal auf einen Marketenderkarren zu steigen und einem Heerzug zu folgen, zumal dieser Krieg ganz anders geführt wurde, als sie es aus ihrer Jugendzeit kannte. Damals hatten die Heerführer vor der Schlacht höfliche Grüße ausgetauscht, und hinterher hatte der Sieger den Unterlegenen zum Mahl geladen. Doch seit die Hussiten wie Heuschreckenschwärme über die Lande herfielen, wurde selbst das Kind im Mutterleib nicht verschont. Eva war ehrlich genug, nicht den Böhmen allein die Schuld daran zu geben. Männer wie Falko von Hettenheim hatten das Ihre dazu beigetragen, dass der Krieg zu einer schmutzigen und ehrlosen Angelegenheit geworden war.
    »Zu schade, dass diesem Schurken zu guter Letzt noch ein Sohn geboren worden ist.«
    Mit diesem Gedankensprung verwirrte Eva ihre Gesprächspartnerin. »Was hast du gesagt?«
    Bevor die alte Marketenderin Anni eine Antwort geben konnte, erscholl das Horn des Türmers. »Wie es aussieht, bekommen wir Besuch. Hoffentlich ist es Michi!«
    Eva eilte, so rasch es ihre mürben Knochen zuließen, zum Tor und spähte hindurch. Beim Anblick der Reiter, die sie auf die Burg zukommen sah, verzog sie jedoch missmutig das Gesicht und kehrte zu Anni zurück. »Wenn das nicht der Dieboldsheimer ist, sollen mich die Läuse fressen. Der will wohl nachsehen, was sein Sohn hier treibt. Vielleicht wird er ihn auch zurückholen. Für unsere Burg wäre es ein Schaden, aber bedauern würde ich es nicht.«
    »Vielleicht wäre es sogar besser, wenn der Junker uns verließe, dann wäre Herr Michel gezwungen, selbst die Zügel in die Hand zu nehmen. Seine Trauer um die Herrin in allen Ehren, doch in gewisser Weise übertreibt er es.« Anni sah noch einmal zum Söller hoch, auf dem Michel sich erhoben hatte, als wäre er aus einem Albtraum hochgeschreckt, und nun nach den Besuchern Ausschau hielt. Selbst vom Hof aus war ihm anzusehen, dass er sich nicht entscheiden konnte, ob er den Leuten entgegengehen und sie begrüßen oder sie zum Teufel wünschen sollte.
    Mariele hatte die Ankommenden ebenfalls erkannt und lief zu Junker Ingold, um es ihm zu berichten. »Gewiss freut Ihr Euch, Euren Herrn Vater wiederzusehen und Grüße aus der Heimat zu erhalten?«, fragte sie ihn in der Hoffnung, der junge Ritter würde ihr ein paar freundliche Worte gönnen.
    Der Junker hatte die Reiter längst erkannt und zog ein ähnlich missmutiges Gesicht wie der Burgherr. »So weit ist Dieboldsheim nicht aus der Welt. Wenn ich mich auf meinen Rappen schwingeund den Tag durchreite, bin ich noch vor dem Abend dort. Aber solange mein Bruder dort lebt, zieht es mich nicht hin.«
    Junker Ingold war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den Blick des Mädchens zu bemerken, der dem eines um Zuneigung bettelnden Welpen glich. Für die Dinge, die ein Jüngling wie er mit einem weiblichen Wesen treiben konnte, war sie noch zu jung, und sie hatte nichts, was seine Aufmerksamkeit wert gewesen wäre. Schließlich war sie nur eine Bauerntochter, die hier erzogen wurde, um irgendwann einmal als höhere Magd oder Wirtschafterin ihren Dienst zu tun.
    »Euer Bruder ist kein guter Mensch, nicht wahr?«
    Marieles Frage hörte der Junker nicht mehr, dann er schritt bereits seinem Vater entgegen. Dieser schwang sich trotz seiner breiten, feist gewordenen Gestalt mit geübter Leichtigkeit aus dem Sattel, warf die Zügel einem Knecht zu und umarmte seinen Sohn. »Na, du Bengel? Gut hast du dich herausgemacht! Du hättest aber durchaus einmal nach Hause kommen können. Die Mutter hätte es gerne gesehen – und ich auch.«
    »Ihr beide, ja! Aber nicht jeder hätte sich gefreut, mich zu begrüßen.« Ingold mied es, direkt von seinem Bruder zu sprechen.
    »Ingobert hat immer noch das zu tun, was ich ihm sage. Außerdem werdet ihr beide euch wohl für ein, zwei Stunden wie gesittete Menschen betragen können und nicht wie zwei Rüden, die sich um eine läufige Hündin balgen. Ich habe nie begriffen, um was es bei eurem Streit eigentlich ging. Um ein Weibsstück?«
    Ingold schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.

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