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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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weiß ich, mein Guter, das weiß ich! Doch nun zu etwas anderem. Ich habe sagen hören, dass deine Frau leider Gottes verstorben ist.«
    Michel senkte den Kopf, um die Tränen zu verbergen, die ihm in die Augen stiegen. »Das ist die Wahrheit, Eure Majestät. Das Unglück ist im letzten Herbst geschehen. Niemand weiß, wie es vor sich gegangen ist, und ich kann es bis heute noch nicht fassen.«
    »Es ist bedauerlich, dass eine so mutige Frau ein Ende gefunden hat wie ein unaufmerksames Kind. Aber du wirst darüber hinwegkommen, Adler. Das Leben geht weiter, und manmuss nach vorne sehen. Auf jeden Fall brauchst du ein neues Weib, mit dem du kräftige Söhne zeugen kannst. Mein Enkel, den meine Tochter mir gewiss bald schenken wird, braucht starke Ritter, die treu an seiner Seite kämpfen.« Der Kaiser klopfte Michel aufmunternd auf die Schulter und wollte weitergehen.
    Michels Stimme hielt ihn jedoch noch einmal auf. »Verzeiht mir, Majestät, doch meine Trauer um Marie ist zu groß, um ein anderes Weib an ihrer Stelle sehen zu wollen.«
    Sigismund drehte sich zu ihm um und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Deine Trauer ehrt dich, doch sie darf dich nicht dazu bringen, mir den schuldigen Gehorsam zu versagen. Ich wünsche, dass du dich erneut verheiratest. Was du brauchst, ist eine ebenso schöne wie reiche Erbin, denn sie muss ein Weib vergessen machen, wie man es nicht oft auf der Welt finden mag. Ich werde noch heute mit meinen Beratern darüber sprechen.«
    »Eure Majestät, ich …«, begann Michel.
    Doch der Kaiser beachtete ihn nicht weiter, sondern drehte sich mit einer Bewegung um, die einen Anflug von Ärger verriet, und schritt davon. Rumold von Lauenstein folgte ihm mit einem boshaften Lächeln.
    Ingomar von Dieboldsheim trat auf Michel zu und packte ihn bei den Schultern. »Beim dreigeschwänzten Teufel noch mal, habt Ihr ein Glück! Der Kaiser will Euch eine Heirat stiften, und mit einer reichen Erbin dazu. Bei Euch zeigt sich, dass das Sprichwort stimmt: Wo der Haufen am größten ist, da schüttet es sich am leichtesten auf.«
    In seiner Stimme schwang unverhohlener Neid, und Michel musste an sich halten, um den Mann nicht vor allen Leuten niederzuschlagen. Schließlich war der Dieboldsheimer schuld daran, dass er nach Nürnberg geritten war. Noch lieber aber hätte er dem Kaiser handgreiflich klar gemacht, dass er sich nicht irgendeineFrau ins Bett legen lassen wollte. Marie war seine große Liebe gewesen, und für ein weiteres Eheweib gab es in seinem Herzen keinen Platz. Dem Herrn des Römischen Reiches Deutscher Nation aber widersprach man nicht. Daher würde er in den sauren Apfel beißen und eine Braut in sein Schlafgemach führen müssen.

VIERTER TEIL
     

In Russland

I.
     
    F ürst Dimitri war so schlecht gelaunt, dass keiner seiner Begleiter ihn anzusprechen wagte. Selbst Andrej zog es vor, seinen Hengst zu zügeln und sich erst wieder hinter seinem Onkel in den Reisezug einzureihen. Da Lawrenti an der Verstimmung ihres Fürsten schuld war, mochte er die volle Wucht von Dimitris Zorn abbekommen. Andrej erinnerte sich nur mit Schaudern an ihre letzten Tage in Pskow. Die dortigen Stadtherren, allesamt reiche, dickbäuchige Kaufleute, die sich mit Pelzen behängten und goldene Ringe an den Finger trugen, als seien sie mächtige Bojaren, hatten dem Fürsten deutlich zu verstehen gegeben, dass er von ihnen weder Unterstützung noch Rückendeckung für Aktionen erhalten würde, die gegen Moskau und dessen knabenhaften Großfürsten gerichtet waren.
    Nach diesem Fehlschlag hatte Lawrenti nichts Besseres zu tun gehabt, als den Fürsten zu erinnern, dass er ihn gewarnt habe, dieses Thema in Pskow anzusprechen. Noch stellte die Stadt mit ihrem weiten Umland ein eigenständiges Fürstentum dar, doch die Herrschaft übte die Versammlung der Kaufherren aus. Die Oligarchen machten keinen Hehl daraus, wie sehr ihnen an der Gunst des litauischen Herrschers Vytautas gelegen war, dem Großvater Wassilis II. Die Fürsten der kleinen russischen Teilfürstentümer, zu denen auch Worosansk gehörte, waren für sie höchstens als Abnehmer für ihre Waren interessant, vorausgesetzt, sie zahlten pünktlich.
    »Reitet gefälligst schneller! Euch kann ja eine Schnecke überholen.« Der Wutausbruch des Fürsten war lächerlich, denn die Gespannpferde schwitzten bereits weiße Flocken, und selbst der edle Grauschimmel des Herrschers äugte durstig zu dem kleinen Bach hinüber, der unweit von ihnen nach Norden der

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