Das Vermächtnis der Wanderhure
hübsches Ding.« Der Dieboldsheimer seufzte und kam dann auf den eigentlichen Grund seines Erscheinens zu sprechen. »Wisst Ihr, Adler, eigentlich bin ich gekommen, um Euch zu fragen, ob Ihr mich nach Nürnberg begleiten wollt. Dort wird der Kaiser erwartet, und wir sollten ihm wieder einmal unsere Gesichter zeigen. Sonst vergisst er noch ganz, dass wir existieren, und das wäre nicht gut.«
Im ersten Augenblick wollte Michel ablehnen, doch dann dachte er, dass es ihm vielleicht helfen würde, wenn er aus seinen Mauern herauskam. Marie würde gewiss nicht wollen, dass er sich wie ein alter Dachs hier vergrub. »Ich wäre schon interessiert, mit Euch zu kommen, Dieboldsheim. Könntet Ihr einen Tag warten, bis mein Gefolge zusammengestellt ist?«
»Mir soll es auch auf zwei oder drei Tage nicht ankommen.« Sein Gast drückte ihn lachend an sich und dachte dabei an den guten Tropfen, den er bei seinem letzten Besuch auf Kibitzstein zu kosten bekommen hatte.
Nun bedauerte auch Michel, dass sein Patensohn Michi noch nicht zurückgekehrt war, denn ihn hätte er nun als Knappen brauchen können. Stattdessen würde er Karel, den Sohn seines Verwalters Reimo und der Wirtschafterin Zdenka, mitnehmen müssen. Der Junge war nicht ganz so gewieft wie Michi, würde ihn aber auch nicht blamieren. Dennoch wollte er die Anweisung hinterlassen, Michi zu ihm zu schicken, falls dieser früh genug auf Kibitzstein auftauchte.
Anni und Eva hatten das Gespräch der Ritter mit gespitzten Ohren verfolgt und nickten sich zufrieden zu.
XV.
M ichel hatte Kaiser Sigismund vor vielen Jahren in Konstanz erlebt, als dieser vom Glanz der eigenen Würde als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation durchdrungen das Konzil geleitet hatte, und zehn Jahre später als alten, fast gebrochenen Mann auf dem Kriegszug gegen die Hussiten. Der Sigismund, dem er diesmal entgegentrat, wirkte viel jünger als die sechzig, die er schon überschritten hatte, und schien von neuer Kraft erfüllt zu sein. Kaum hatte er Michel entdeckt, da eilte er auf ihn zu und umarmte ihn vor all seinen Edelleuten.
»Sei mir willkommen, Adler! Ich freue mich, dich zu sehen. Dein Erscheinen bringt mir immer Glück, und davon kann ein Mensch nie genug haben, geschweige denn ein Kaiser und König.«
Michel gelang es trotz der Umarmung durch Sigismund eine Verbeugung anzudeuten. »Eure Majestät sind zu gütig. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Euch zu dienen, dann verfügt über mich. Ich hörte, es soll Krieg im Ungarland geben.«
Der Kaiser ließ ihn los und hob lachend die Hände. »Du, mein guter Adler, würdest mit mir kommen und gegen diese von Gott verfluchten Osmanen kämpfen. Andere Herrschaften hingegen …« Sigismund streifte einige der versammelten Herren mit grimmigem Blick und sah Rumold von Lauenstein, der den Pfalzgrafen am Rhein vertrat, leicht zusammenzucken. »… andere Herrschaften bleiben lieber auf ihren Burgen hocken und ziehen die Köpfe ein, anstatt im ehrlichen Kampf für ihren Kaiser zu streiten. Aber wenn es dich auch noch so drängt, den Schwertarm zu schwingen, so musst du dich gedulden. Du dienst mir dort, wo du jetzt bist, im Augenblick am besten. In ein paar Jahren wird dies wieder anders sein, und dann wird mein Ruf dich ereilen. Fürs Erstehabe ich jedoch mit den Türken einen Waffenstillstand geschlossen.«
Sigismunds säuerliche Miene deutete an, dass ihm dies wenig behagte, denn er hatte sich zu territorialen Zugeständnissen bereit finden müssen. Lange vermochte die Erinnerung seine Laune jedoch nicht zu trüben. Er zog Michel wieder an sich heran und näherte seinen Mund dessen Ohr.
»Seine Heiligkeit, der Papst, wird die Christenheit zu einem neuen Kreuzzug gegen diese verdammten Heiden aufrufen. Dann werden wir die Osmanen wie blökende Hammel verjagen und das stolze Konstantinopel aus der Umklammerung durch die heidnischen Kriegsscharen befreien. Wenn es so weit ist, brauche ich einen Mann, der mein Fußvolk so gut zu führen versteht wie du.«
Der Optimismus des Kaisers war wie ein überspringender Funke, der ein helles Feuer entfachen konnte. Zum ersten Mal seit langem richtete Michel sich auch innerlich auf und sah sich bereits als Hauptmann einer stattlichen Schar von Fußknechten, bei deren Ausrüstung er die Erfahrungen berücksichtigen konnte, die er im Kampf gegen die Hussiten gewonnen hatte. Er kniete vor Sigismund nieder und hob die Hand zum Schwur.
»Eure Majestät werden mich bereit finden!«
»Das
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