Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
verschiedener Pflanzen, Bäume und Tiere, die sie unterwegs entdeckten. Die Mohrin nickte eifrig und wiederholte die Worte. Andrej begriff rasch, was die beiden Frauen da trieben, und da er es langweilig fand, stumm wie ein Fisch hinter ihnen herzulaufen, beteiligte er sich an dem Unterricht und ergänzte Maries Erläuterungen mit den russischen Bezeichnungen.
    Mit einem Mal blieb Marie stehen, schnupperte ein wenig und blickte sich suchend um. Ihr angespannter Gesichtsausdruck verriet, dass sie nicht gleich das fand, was sie an dieser Stelle suchte. Einige Schritte weiter aber kniete sie neben noch recht jungen Pflanzen nieder und pflückte sie, ohne die Wurzeln auszureißen oder zu beschädigen.
    »Das ist Hagemundiskraut, ein sehr gutes Mittel gegen Durchfall bei Kindern. Leider kann es zu dieser frühen Zeit noch nicht seine größte Kraft entfalten, doch fürs Erste muss es reichen«, versuchte sie Andrej zu erklären. Sein verständnisloses Gesicht veranlasste sie, ihm den lateinischen Namen zu nennen, den sie wie viele andere von dem Apotheker in Rheinsobern gelernt hatte.
    »Herba agrimoniae, versteht Ihr? Man nennt es auch Leberklette oder Leberkraut. Es wird Prinz Wladimir helfen.«
    Andrej starrte die Frau verwirrt an. Er selbst kannte eine Reihe lateinischer Worte und begriff daher, dass sie sich tatsächlich mit dieser Sprache auskannte. Um sich zu vergewissern, zeigte er auf ein anderes Kraut.
    »Was ist das?«
    Sie machte eine abwehrende Handbewegung. »Das ist Bingelkraut. ›Herba mercurialis‹ sagt der Apotheker dazu. Das ist gar nicht gut. Es würde den Durchfall nur verstärken.« Da er es trotzdem pflücken wollte, zeigte sie schnell auf ein paar andere Pflanzen, deren lindernde Wirkung sie kannte, und nannte auch deren Namen.
    Andrej rieb sich verwundert das Kinn. Diese Frau konnte keine einfache Magd sein, die wegen einer Verfehlung als Sklavin verkauft worden war, denn sie schien beinahe so gelehrt zu sein wie ein Arzt. Das lateinische Wort
herba
hieß Kraut, so viel wusste er. Der jeweilige andere Begriff musste dann wohl die spezielle Pflanze bezeichnen. Andrej war bekannt, dass die Lateiner, wie die Katholiken im Westen von seinen Landsleuten genannt wurden, sich in ihren Sitten und Gebräuchen stark von den rechtgläubigen Russen und Griechen unterschieden. Dennoch wunderte es ihn, dass man eine Frau mit diesem Wissen verkauft hatte. Jeder gute russische Herr hätte sie behalten, um ihre Fähigkeiten für sich selbst und seine Familie zu benutzen.
    Er kratzte sich am Kopf und fragte sich, was diese Frau angestellt haben musste, denn sie erschien ihm nicht von Grund auf schlecht. Früher war sie gewiss eine Schönheit gewesen, und er vermutete daher, dass man sie aus Eifersucht oder Standesrücksichten auf diese Weise beseitigt hatte. Eigentlich war sie noch immer schön, auch wenn sie erschöpft und müde wirkte. Ihre Augen strahlten ein Feuer aus, das geheime Kräfte offenbarte und den Willen, sich zu behaupten. So ein Mensch war ihm noch nie begegnet, insbesondere nicht in Gestalt eines Weibes. Wer auch immer ihr Herr sein mochte, würde über ihren Körper verfügen können, doch niemals über ihren Geist. Wenn er es recht bedachte, erschien es ihm bei ihrem Wissen um die Wirkung von Pflanzen nicht geraten, sie sich zum Feind zu machen. Auch der Blick, mit dem sie ihn gelegentlich streifte, verriet ihm, dass es besser war, nicht zu versuchen, im Schutz des Waldes mit ihr gewisseDinge zu treiben, und ihre wortlose Warnung schloss auch die Mohrin mit ein.
    Zwar war er selbst es gewesen, der seinen Herrn auf Alika aufmerksam gemacht hatte, doch mittlerweile bedauerte er seinen Übermut. Dimitri begehrte das dunkelhäutige Mädchen, wie er einen rassigen Hengst begehrte oder ein meisterhaft geschmiedetes Schwert, und im Augenblick hielten nur die Predigten seines Beichtvaters ihn davon ab, die Mohrin erneut in sein Bett zu holen. Da diese mit der Kräuterhexe befreundet war, fürchtete Andrej für seinen Herrn, wenn dieser die Schwarze benutzte und dabei wieder von seiner Peitsche Gebrauch machte. Welche Strafe mochte Dimitri in dem Fall treffen? Würde diese Marija ihm ein Kraut eingeben, das ihm einen gewaltigen Durchfall verschaffte? Oder würde sie den Stängel des Unheils, den er zwischen seinen Schenkeln trug, verdorren und unnütz werden lassen? Andrej lächelte boshaft, denn im Grunde seines Herzens vergönnte er Dimitri einige schlimme Tage. Dann aber stellte er sich vor, wie er

Weitere Kostenlose Bücher