Das Vermächtnis der Wanderhure
soeben ein Urteil aus Salomons eigenem Mund vernommen. »Es gibt Frauen, die viele heilende Kräuter kennen. Dieses Weib mag eine Ketzerin sein, doch vielleicht hat Gott in seiner Güte sie zu uns geschickt. Wie du selbst gesagt hast, meine Tochter, steht sein Wille über allem. Wenn Gott will, dass dein Sohn am Leben bleibt, so kann ihm auch der Trank dieses Weibes nicht schaden. Wenn er aber stirbt, ist es der Wille des Herrn, dass der kleine Wladimir in den Himmel eingeht.« Mit dem Gefühl, sich gut aus der Affäre gezogen zu haben, trat er zurück und überließ Andrej das Feld. Der hielt immer noch Lisa in den Armen, reichte sie nun an Marie weiter und deutete auf die Kindsmagd.
»Dieser Tochter einer Hündin würde ich deinen Sohn nicht länger anvertrauen, Herrin. Du hast selbst gesehen, dass sie ihn weder säubert noch für sein Wohl sorgt.«
»Du hast Recht, Andrej Grigorijewitsch! Darja ist es nicht wert, den Thronfolger länger zu versorgen. Ich …« Anastasia stockte und griff sich an den Unterleib. Seit einigen Tagen hatte sie wieder Schmerzen, vor allem, wenn ihr Gemahl im Ehebett etwas zu ungestüm zu Werke ging, und es fiel ihr immer schwerer, die ihr auferlegte Pflicht als Ehefrau zu erfüllen. Dabei hatte sie früher sogar Gefallen daran gefunden. Sie blickte die Ketzerin an, die mit ihrem Trank den Prinzen zumindest beruhigt hatte, undfragte sich, ob dieses Weib wohl auch Kräuter kennen würde, die das stechende Ziehen in ihrem Unterleib lindern oder gar heilen konnten. Es war wichtig, dass dies bald geschah, denn sie wusste, dass sie Dimitris Forderungen nicht mehr lange würde erfüllen können, und das durfte in keinem Fall geschehen. »Wenn ich den Fürsten zurückweise, beleidige ich Gott und treibe meinen Gemahl schlechten Weibern in die Arme.«
Der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte sie, und sie sah sich um, ob jemand sie gehört hatte. Ihre Leibdienerin stand neben ihr und ihre Haushofmeisterin trat gerade mit fragender Miene ein. Beide musterten sie verwirrt, während Andrej von der Tür aus die Deckenbalken betrachtete, als wolle er sich die Schnitzereien dort oben einprägen, um ähnliche in seinem eigenen Haus in Auftrag zu geben.
Am meisten ärgerte die Fürstin sich jedoch über die bisherige Kindsmagd, die ihre Lippen hochzog, als wolle sie ihre Herrin verspotten. Nun schäumte sie auf. »Du Hündin hast mein Vertrauen missbraucht und den Thronfolger schlecht behandelt. Dafür wirst du bestraft werden!«
Die Magd starrte ihre Herrin für einen Augenblick entsetzt an, dann warf sie sich vor ihr zu Boden, griff nach dem Saum ihres Kleides und presste es an die Lippen. »Verzeih mir, Mütterchen! Ich habe immer brav auf den Prinzen Acht gegeben. Nur heute ist es mir wegen der Eile des Fürsten nicht gelungen, rechtzeitig die Windel zu wechseln. Wie hätte ich es denn tun sollen? Der Wagen hat so stark geschaukelt, dass mir der Prinz vom Schoß gerollt wäre!«
Mit einem schnellen Griff nahm Anastasia ihrer Haushofmeisterin den Stock ab und versetzte der Kindsmagd einen scharfen Hieb. »Das sind doch nur Ausflüchte! Mein Sohn wäre nicht krank geworden, wenn du richtig auf ihn Acht gegeben hättest. Was bist du nur für eine Kinderfrau, die nicht einmal die Kräuter kennt, die ihm gut tun?« Ein zweiter Schlag folgte und ein dritter.Dann warf die Fürstin den Stock in die Ecke und setzte sich schwer atmend auf ihr Bett. Die Magd glaubte, das Schlimmste bereits überstanden zu haben, doch da winkte Anastasia ihre Hofmeisterin zu sich und wies auf das zitternde Mädchen.
»Diese Hündin soll die Knute spüren! Ich will, dass sie zwanzig Hiebe erhält. Sage dem Knecht, der die Peitsche führt, er würde die gleiche Anzahl Hiebe bekommen, wenn nicht jeder Schlag ins Fleisch geht.«
Marie vernahm die zornige Stimme der Fürstin, verstand aber nicht, um was es ging. Doch das Verhalten der Magd, die sich am Boden wand und schrie und flehte, als wolle sie einen Stein erweichen, verriet ihr genug.
Darjas Geschrei schien die Fürstin noch wütender zu machen. Das begriff auch die Magd, denn sie sprang auf und deutete mit der Rechten auf Marie. »Daran ist nur diese verfluchte Ketzerin schuld! Sie hat dich verhext und den Recken Andrej dazu, und auch den ehrwürdigen Vater Pantelej Danilowitsch! Der Teufel soll dieses schmutzige Weib holen!« Sie spuckte vor Marie aus, schüttelte sich noch einmal wie im Fieber und folgte der Haushofmeisterin ins Freie.
Die Fürstin achtete nicht
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