Das Vermächtnis der Wanderhure
jedes Mal empfand, wenn die Rede auf den Kibitzsteiner kam, legte ihr diese Worte auf die Lippen. Während ihr Ehemann auf die höchst wankelmütige Gunst seines Lehnsherrn angewiesen war, lebte Michel Adler nun als reichsunmittelbarer Ritter unbekümmert auf seiner Burg, ohne die Forderung eines Höheren fürchten zu müssen, denn er war allein dem Kaiser verpflichtet. Eine Freundin Isbergas hatte das große Glück gehabt, den Herrn einer reichsunmittelbaren Herrschaft heiraten zu dürfen, und schwärmte in ihren Briefen davon, welch glückliches Leben sie nun führe.
Marie bemerkte, dass ihre Gastgeberin eigenen Gedanken nachhing, und wartete mit der Antwort, bis Isberga ihr wieder Aufmerksamkeit schenkte. »Das ist richtig. Mein Michel hat Herrn Sigismund das Leben gerettet und ihm zudem hohe Herren aus Böhmen zugeführt, die bereit sind, ihr Knie wieder vor dem Kaiser zu beugen, der ja auch die böhmische Königskrone trägt.«
Während Marie ihrer Gastgeberin einen kurzen Bericht über die Geschehnisse gab, presste Hulda von Hettenheim im Raum nebenan die Kiefer zusammen, um nicht vor Wut aufzuschreien.
Ihr Mann Falko hatte oft davon gesprochen, wie unfähig, alt und senil der Kaiser geworden sei. Dabei hatte er ihn als einen überängstlichen Greis bezeichnet, der einen lumpigen Wirtssohn zum Reichsritter erhoben hatte, nur weil dieser einem vorwitzigen Böhmen, der Sigismund zu nahe gekommen war, den Kopf abgeschlagen hatte. Er selbst aber war nur mit einem Bettel abgespeist worden, obwohl er in Dutzenden von Kämpfen und Scharmützeln sein Blut für Kaiser und Reich vergossen hatte. Auch sie verfluchte Sigismund innerlich, denn wenn der Kaiser ihren Gemahl zum freien Reichsritter erhoben hätte, müsste sie sich jetztnicht vor Angst verzehren, ihr nächstes Kind könne ebenfalls eine Tochter werden. Ein Reichslehen hätte auch ihre Älteste erben können, aber die Hausgesetze der zur Pfalz zählenden Herrschaft Hettenheim sprachen diese allein einem männlichen Erben zu.
»Dieser von Gott verfluchte Ritter Heinrich wird niemals in meiner Burg Einzug halten!« Der Klang ihrer eigenen Stimme brachte Hulda zu Bewusstsein, dass sie diesen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Sie zuckte zusammen und spähte durch den Türspalt, um zu sehen, ob Isberga und Marie sie gehört hatten. Doch ihre Freundin lachte gerade über eine Bemerkung Maries und hatte den hasserfüllten Ausruf übertönt. Hulda wollte gerade erleichtert aufatmen, da hörte sie Marie sagen: »So Gott will, wird meine Trudi in weniger als fünf Monaten ein Geschwisterchen haben.«
Zunächst traf diese Bemerkung Hulda wie ein Schlag. Marie war schwanger, und mit der Bosheit des Satans würde dieses Weib einen Sohn zur Welt bringen, während sie wieder eine Tochter gebären würde. Zwar wüsste sich Hulda in diesem Fall zu helfen, denn sie hatte schon erste Vorkehrungen getroffen, doch mit einem Mal fürchtete sie, ihr Plan könne bereits an der Tatsache scheitern, dass ihr Mann ihres Wissens auf den Hettenheimer Besitzungen keinen einzigen männlichen Bastard gezeugt hatte. Plötzlich war sie sich sicher, dass dieses Weib sie und wahrscheinlich auch ihren verstorbenen Gatten verhext hatte. Schnell machte sie das Zeichen gegen den bösen Blick und zog sich leise aus der Kammer zurück. In einem dunklen Winkel des Korridors blieb sie stehen und presste ihre erhitzten Wangen gegen die kühle Mauer.
Nach einer schier endlos langen Zeit öffnete sich die Tür von Isbergas Kemenate und Marie verließ mit höflichen Abschiedsworten den Raum. Dann ging sie mit so schnellen Schritten den Korridor entlang, dass die Magd mit der Lampe kaum mit ihrSchritt halten konnte. Hulda wartete, bis sie nicht mehr gesehen werden konnte, und folgte ihrer Feindin.
V.
M arie war froh, als sie den Pflichtbesuch bei der Ehefrau des neuen Burghauptmanns hinter sich gebracht hatte. Isberga von Ellershausen war die schwatzhafteste Frau, die ihr je begegnet war, und eine der neugierigsten dazu, hatte sie doch nach Bettgeheimnissen gefragt, die nach Maries Ansicht niemanden etwas angingen. Auch schien die Burgherrin einen Hang zu haben, alles zu dramatisieren und zu übertreiben, denn sie hatte Eberhard, dem Vater des jetzigen Herzogs von Württemberg, ein Glied von der Größe eines Hengstes angedichtet und von ihr wissen wollen, ob Pfalzgraf Ludwig tatsächlich ein Muttermal an einer sehr delikaten Stelle hatte. Marie hatte die Frau nicht vor den Kopf stoßen wollen und
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