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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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und segnete den kleinen Prinzen.
    »Möge Gott ihn auf seinem weiteren Lebensweg durch einen seiner Engel geleiten lassen. Er wird gewiss einmal ein würdiger Nachfolger seines Vaters werden.«
    »Dafür wollen wir beten! Einige Leute hoffen nämlich, mein Gemahl würde in den uns bevorstehenden Kämpfen mit Moskaufallen, so dass sein Bruder Jaroslaw Fürst werden und meinen Sohn verdrängen kann.«
    Bitterkeit sprach aus ihren Worten und eine Angst vor der Zukunft, die sie nie losließ. Da sie in Konstantinopel geboren und aufgewachsen war, hatte sie bis zu ihrer Heirat nur die Erbfolge kennengelernt, die vom Vater auf den Sohn ging und die auch in den westlichen Reichen selbstverständlich war. In Russland herrschte jedoch die Sitte, beim Tod eines Fürsten dessen noch nicht erwachsene Söhne zu übergehen und einem Bruder oder gar einem Vetter des Verstorbenen die Krone aufs Haupt zu setzen. In Anastasias Augen war das kein guter Brauch, denn er hatte dazu geführt, dass sich das erste Russische Reich von Kiew in Bruderkämpfen selbst zerfleischt hatte, bis es ein leichtes Opfer der Mongolen geworden war.
    Als gebildete Griechin hatte sie, nachdem ihr die Heiratspläne ihres kaiserlichen Verwandten mitgeteilt worden waren, in den Archiven geforscht und die Geschichte ihrer künftigen Heimat studiert. Nun wusste sie mehr über die Vergangenheit der Russen und die Entstehung und das Vergehen ihrer Reiche als diese selbst und hatte begriffen, warum Dimitri Donskojs Sohn Wassili I. seinen noch unmündigen Sohn als Nachfolger auf dem Thron hatte sehen wollen. Allerdings war ihr auch klar, dass ein langer und steiniger Weg vor Wassili II. lag. Ob er sich als Großfürst behaupten oder scheitern und die Krone an seinen Onkel Juri und dessen erwachsene Söhne verlieren würde, lag in Gottes Hand.
    In Stunden wie dieser, wenn die Furcht ihr Herz in den Klauen hielt, sehnte sie sich in ihre Heimatstadt zurück, auch wenn Konstantinopel nicht ungefährdet war, sondern sich schon seit Jahrzehnten im Würgegriff der osmanischen Sultane wand. Dort aber waren ihr die Sitten und Gebräuche vertraut, und sie wurde nicht als Fremde, teilweise sogar als verhasste Ausländerin angesehen. Nicht alle ihre Dienerinnen waren ihr treu ergeben,und es gab genug unter ihnen, die sie gerne durch eine Russin ersetzt sehen würden.
    Anastasias Blick wanderte zu der deutschen Sklavin, die den kleinen Wladimir wieder in seine Tücher hüllte, auf den Arm nahm und den anderen im Raum scheu den Rücken drehte, um dem Jungen die Brust zu geben. Konnte diese Frau, die hier ebenfalls fremd war und angefeindet wurde, zu einer Vertrauten, vielleicht sogar zu einer Freundin für sie werden? Sie lachte über sich selbst, denn allein der Gedanke, Freundschaft mit einer Magd oder gar einer Sklavin zu suchen, war für eine Frau ihres Standes absurd. Doch in ihr brannte der Wunsch, jemanden um sich zu haben, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, ohne gleich Verrat fürchten zu müssen.
    Die letzte Person, an die sie dabei gedacht hätte, wäre eine Frau aus den Ländern der Lateiner gewesen. Diese Leute hatte sie in Konstantinopel kennen und verachten gelernt. Es waren laute und in ihren Augen äußerst unangenehme Patrone, die Kaiser Ioannis, der immerhin der Erbe eines Constantinos und eines Iustinianos war, behandelt hatten, als wäre er ihr Pferdebursche. In den großen Tagen des Reiches hätte man diesen Kerlen Bleigewichte an die Füße gebunden und sie im Goldenen Horn versenkt. Doch in einer Zeit, in der der Türke seinen Schatten drohend über die uralte Stadt warf, musste der Kaiser um die Gunst eines jeden Kaufmanns und Ritters aus dem Westen buhlen, in der Hoffnung, ein großes Heer der Lateiner würde ihm zu Hilfe kommen und den Feind wieder über den Bosporus treiben.
    Diese Hoffnung war in Anastasias Augen ein zweischneidiges Schwert, denn sie erinnerte sich an die Berichte über das letzte Heer aus dem Westen, das vor den Mauern Konstantinopels erschienen war. Im Jahre des Herrn 1204 hatten die fränkischen Barone die heilige Stadt erobert und geplündert und damit die Grundfesten des Byzantinischen Reiches auf Dauer zerstört. Von diesem Überfall hatte Konstantinopel sich nicht mehr erholt,und sein Umland war schließlich zu einem hilflosen Opfer der türkischen Muslime geworden. Auf die Hilfe eines Lateiners zu hoffen oder sie abzulehnen ist wie die Wahl zwischen Skylla und Charybdis, dachte sie.
    Mit einer energischen Handbewegung, die sie

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