Das Vermächtnis der Wanderhure
Rumold von Lauensteins zu lachen. Ihr Ehemann aber verzog keine Miene, sondern saß steif wie ein Hackstock auf seinem Stuhl und schien nicht einmal zu merken, dass er anstelle harten, trockenen Roggenbrots köstliche Suppen und feine Braten zu sich nahm. Dafür sprach er dem Wein in der gleichen Weise zu wie sie selbst.
»Wie Ihr seht, Eure Majestät, ist alles gut verlaufen.« Lauenstein beugte sich vor, um den Kaiser daran zu erinnern, wer ihm aus dieser Zwickmühle geholfen hatte.
Sigismund nickte ihm lächelnd zu und hob seinen goldenen Pokal. »Euer Rat war gut, Lauenstein. Ich werde es im Gedächtnis behalten. Nur bedauerlich, dass Ihr nicht schon ein paar Wochen früher darauf gekommen seid, denn wegen dieser Sache musste ich länger hier verweilen als geplant. Dabei hätte ich längst wieder in Ungarn sein sollen.«
»Wäre es nicht dringlicher, den Kelchbrüdern, unseren Freunden in Böhmen, zu Hilfe zu eilen?«, wandte Michel ein.
Der Kaiser zog ein Gesicht, als hätte sich der Ungarwein in seinem Pokal in Essig verwandelt. »Ich muss Ungarns Grenze gegen die Osmanen schützen. Sultan Murad zieht neue Truppen zusammen und wird den Waffenstillstand, den er mit mir geschlossen hat, in dem Augenblick brechen, in dem er sich stark genug fühlt. Aus diesem Grund muss ich so bald wie möglich in Ofen sein und den Heerbann der Madjaren sammeln. Es ist ein Kreuz, dass es an so vielen Ecken und Enden meines Reiches brennt. Doch ich bin sicher, dass wir mit Gottes Hilfe und der des heiligenMichael alle Gefahren von unseren Thronen abwenden und die kommenden Schlachten siegreich beenden werden.«
Michel wollte den Kaiser schon fragen, ob dieser ebenso siegreich zu sein gedachte wie in jener Schlacht gegen die Böhmen, in der er Sigismunds Leben gerettet hatte, schluckte diese Bemerkung aber noch rasch genug hinunter. Stattdessen brachte er einen Trinkspruch aus, in dem er das Kriegsgeschick seines Lehnsherrn pries und gleichzeitig der Hoffnung Ausdruck gab, dass Sigismund noch viele Jahre als Kaiser im Reich und als König in Ungarn und Böhmen herrschen würde.
Albrecht von Österreich stimmte ihm eifrig zu, doch seinem Gesicht war anzusehen, dass er die Zahl der Jahre, die Sigismund noch verbleiben sollten, nicht allzu hoch angesetzt sehen wollte.
Das Gespräch verflachte, denn nun traten Gaukler auf. Michel sah den Männern und Frauen zu, die geschmeidig ihre Kunststücke zum Besten gaben, und erinnerte sich daran, dass Marie einst mit dem fahrenden Volk hatte ziehen müssen, weil man ihr die Heimat genommen hatte. Marie gab es nicht mehr, und er war wieder ein verheirateter Mann. Nun sah er seine Braut zum ersten Mal bewusst an. Hässlich ist sie nicht, schoss es ihm durch den Kopf, doch den Platz seiner ersten großen Liebe würde sie niemals einnehmen können. Er wollte jedoch zufrieden sein, wenn sie Trudi die Mutter ersetzte, die diese dringend benötigte. Vielleicht gab es bald Kinder, die das Band zwischen ihm und ihr festigten würden, so dass sie friedlich miteinander leben konnten.
Der kalte Ausdruck auf dem Antlitz seiner Angetrauten ließ ihn an seinem künftigen Glück zweifeln. Gleich darauf schalt er sich einen Narren. Diese Schwanhild war nun sein Weib und würde ihm gehorchen müssen. Ein weiterer Becher Wein festigte diesen Gedanken, und zum ersten Mal seit langem verspürte er wieder so etwas wie Verlangen nach einem weichen, nachgiebigen Frauenleib.
VI.
D a ein weiterer Kriegszug auf den Kaiser wartete, hatte dieser nicht die Absicht, länger in Nürnberg zu bleiben. In den letzten Jahren hatte er zwei Schlachten gegen die Türken verloren und sich dabei nicht mit Ruhm bekränzt. Daran waren nicht zuletzt der Mangel an Unterstützung durch die Reichsfürsten schuld und natürlich auch seine eigenen, leeren Truhen, die es ihm ebenso unmöglich machten, seine neuesten Verbündeten, die böhmischen Kelchbrüder, in der Weise zu unterstützen, wie diese es sich wünschten. Abgesehen von der mageren Hilfe weniger Herren im Reich, die aus eigenem Interesse den Aufstand in Böhmen eindämmen mussten, würden die kaiserfreundlichen Böhmen sich allein gegen die mit ihnen verfeindeten Taboriten um ihren Anführer Prokop behaupten müssen.
Noch während des Umtrunks zu Ehren des jungen Paares besprach der Kaiser mit seinem Schwiegersohn die Lage und ernannte ihn zu seinem Stellvertreter. Albrecht von Österreich, der hoffte, Sigismunds Nachfolger als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
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