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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Griff nach der Großfürstenkrone zu wagen. Selbst im Kloster stellten die Fürstin und ihr Sohn noch eine Gefahr dar, für Moskau wäre es im Grunde das Beste, wenn beide frühzeitig starben. Der Bojar konnte jedoch nicht wagen, jetzt schon Hand an sie zu legen. Für eine Weile würde Großfürst Wassili das Gesicht wahren müssen, zumindest so lange, bis niemand mehr von der Fürstin von Worosansk und ihrem Sohn sprach.
    Der Schutz des geheiligten Blutes galt zwar für Anastasia und ihre Nachkommen, aber nicht für den bisherigen Fürsten von Worosansk. Der Bojar maß den schnarchenden Dimitri, der immer noch so dalag, wie Andrej ihn zurückgelassen hatte, mit einem höhnischen Blick und seine Hand wanderte zum Schwertgriff. Im letzten Augenblick hielt er inne und sah Lawrenti auffordernd an. »Dimitri Michailowitsch darf diese Nacht nicht überleben. Töte ihn!«
    Lawrenti trat einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. Er hatte Dimitri Treue geschworen und diese gebrochen. Jetzt spürte er die Last des Verrats, und ihm war klar, dass er nicht auch noch zum Mörder werden durfte. Tötete er den Fürsten, würde man ihn zum Sündenbock machen und früher oder später auf grausame Weise vom Leben zum Tod befördern. Aber wenn Worosansk nicht an Moskau fallen sollte, musste der ältere Sohn seines geliebten Fürsten Michail in dieser Nacht sterben. Sein Blick suchte Jaroslaw, der von einer Gruppe Moskauer Krieger in die Halle geführt wurde.
    »Ruhm und Ehre dem Fürsten Jaroslaw Michailowitsch«, rief er und verneigte sich. Die anderen einschließlich des Moskauer Bojaren taten es ihm gleich. Als Lawrenti sich wieder erhob, brannte sich sein Blick in Jaroslaws Augen.
    »Es muss nur noch eine Tat vollbracht werden, die deine Thronerhebung vollkommen macht, mein Fürst. Dimitri, der Verschwender, der Feind seiner eigenen Stadt, muss sterben – und zwar durch deine Hand!«
    Jaroslaw starrte ihn entgeistert an. »Ich soll meinen Bruder töten?«
    »Du hast keine andere Wahl! Niemand von uns darf fürstliches Blut vergießen, und würde einer unserer Moskauer Verbündeten es tun, hieße es sofort, du wärest von ihnen als Marionette eingesetzt worden.«
    »So ist es!« Bojar Boris stimmte dem alten Berater zu und riet Jaroslaw ebenfalls eindringlich, das Werk zu vollenden.
    Schließlich nahm Lawrenti das Schwert herab, welches hinter Dimitris Hochsitz hing, zog es aus der Scheide und drückte es dem zögernden Prinzen in die Hand. »Vollbringe die Tat, Jaroslaw Michailowitsch, und die Menschen von Worosansk werden deinen Namen preisen!«
    Wie unter Zwang trat Jaroslaw auf seinen Bruder zu und blickte auf ihn hinab. Die Klinge zitterte in seiner Hand, under vermochte sie kaum zu heben. Er versuchte daran zu denken, wie oft sein Bruder ihn verhöhnt und für vermeintliche Vergehen bestraft hatte. Stattdessen schob sich das Bild des Älteren so in seine Gedanken, wie dieser vor dem Tod des Vaters gewesen war, und er erinnerte sich an seine erste Flöte, die Dimitri ihm aus einem Stück Holunderholz geschnitzt hatte. Auch musste er an jene Tage denken, an denen Dimitri ihn auf sein Pferd gesetzt hatte und mit ihm durch die Stadt geritten war.
    Ich kann es nicht, dachte er unter Tränen.
    Er spürte jedoch die Unerbittlichkeit der Männer um ihn herum, besonders derer, die Dimitri verraten hatten. Sie verlangten nach dem Tod des Fürsten, schon aus Angst, dieser könne entkommen, neue Anhänger um sich sammeln und sie später für ihren Verrat zur Rechenschaft ziehen. In dem Moment begriff er, dass Dimitri auch ihn schrecklich bestrafen würde, und die Angst vor der Grausamkeit seines Bruders überschwemmte sein Denken. Er riss die Waffe hoch und schlug mit der Kraft der Verzweiflung zu.
    Die Klinge traf Dimitris Hals und durchschlug ihn. Der Kopf kollerte durch den Raum, prallte gegen die Wand und blieb mit dem Gesicht auf seinen Mörder gerichtet liegen. Ungläubig starrte Jaroslaw auf die Miene des Toten, die immer noch so wirkte, als schliefe Dimitri friedlich. Gleich darauf krümmte er sich innerlich unter einer Welle von Übelkeit. Die Männer um ihn herum schienen seine Schwäche nicht zu bemerken, denn sie starrten ihn mit offenen Mündern an, als hätten sie einen ganz anderen Prinzen in ihm entdeckt. Der energisch geführte Hieb nötigte ihnen Achtung ab, flößte ihnen aber auch Furcht vor dem ein, was in ihrem neuen Fürsten stecken mochte. So unähnlich, wie man angenommen hatte, schienen die beiden

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