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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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er durch seine Trunksucht sein Reich verloren hat, wird er zwar fluchen, aber er ist wenigstens noch am Leben.«
    Für einen Augenblick huschte ein böses Grinsen über Andrejs Gesicht, dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
    »Worauf wartet ihr noch?«, herrschte er Marie und die Fürstin an, die sich wie Schlafwandlerinnen bewegten, und hob die Hand, als wolle er sie mit Schlägen zur Eile antreiben.
    Marie nahm Anastasia, die wie erstarrt stehen geblieben war, bei der Hand und führte sie zum Terem. Dort trafen sie auf Alika und Gelja, die den Thronfolger und Lisa auf den Armen trugen und sich ratlos umsahen. Die Kinder waren warm verpackt, und die Frauen hatten sich großzügig in der Kleiderkammer bedient.
    »Sie sind alle weg!«, stotterte Gelja.
    »Wer ist weg?«, fragte Marie.
    »Die Hofdamen! Einige Mägde schlafen wie betäubt, und die anderen sind verschwunden.«
    »Andrej hat Recht! Da ist verdammt viel Verrat im Spiel«, antwortete Marie. »Machen wir, dass wir wegkommen, ehe es zu spät ist.«
    Sie führte Anastasia zu deren Gemächern, und dort bestätigte sich, was Gelja berichtet hatte. Das Lager der Leibmagd war unberührt und die Kammern der Hofdamen, die sich um die Zimmer der Fürstin gruppierten, standen leer. Marie zog Anastasia aus und half ihr in einige Schichten warmer Kleider. Dann bediente sie sich selbst aus den Truhen der Fürstin. Die Kleider waren weit genug, aber es fand sich kein Mantel darin, und da Marie nicht quer durch das Gebäude zur Kleiderkammer laufen wollte, schlüpfte sie in das Zimmer der Haushofmeisterin, zündete die von der Decke herabhängende Öllampe an und schlug mit einem eisernen Kerzenständer die Schlösser an einer der Truhen ab. Wie sie gehofft hatte, lag der ältere der beiden dicken Pelzmäntel, die die Dame besaß, noch an seinem Platz.
    Einmal im Schwung erbrach Marie noch eine kleinere Schatulle und schüttete die zumeist goldenen Münzen in ein kleines Kopfkissen, aus dem sie einen Teil der Wolle entfernte. Sie verteilte das Geld so, dass es nicht auffällig klirrte, und befestigte den Beutel mit ein paar Lederriemen an einem Gürtel, den sie ebenfalls zu ihrem Eigentum machte. Schon ein kleiner Teil dieses Schatzes würde ihr helfen, mit Alika und Lisa bequem in die Heimat zu reisen. In dem ganzen Trubel hier würde das Fehlen des Goldes nicht auffallen; wenn der Palast wirklich von fremden Kriegern geplündert wurde, war das Geld so oder so verloren. In ihren Taschen vermochte es bessere Dienste zu leisten als in denen eines Soldaten, der es doch nur für Met und Huren ausgeben würde.
    Als sie zur Fürstin zurückkehrte, kniete Anastasia auf dem Fußbodenund betete inbrünstig. Von irgendwoher war Pantelej aufgetaucht und hatte sich zu ihr gesellt. Der Priester sah um Jahre gealtert aus und schlug immer wieder das Kreuzzeichen, als müsse er sich gegen böse Kräfte wappnen.
    Kurz darauf erschien Andrej mit einem Gesicht, das von Wut und höchster Anspannung gezeichnet war. »Wir müssen sofort aufbrechen, Herrin! Die ersten Feinde haben den Palast schon erreicht. Wenn wir Glück haben, können wir eine der Nebenpforten öffnen, ehe man uns bemerkt.« Da Anastasia nicht auf seine Worte reagierte, hob er sie kurzerhand auf und trug sie hinaus.
    Marie schob Alika und Gelja hinter ihnen her. »Auf geht’s!«
    Anders als die Fürstin war sie nicht vor Angst erstarrt, sondern spürte, wie ihr Körper vor Erregung kribbelte. Die Freiheit schien nun greifbar nahe zu sein, denn sie hatte vor, sich in dem Moment, in dem sich eine halbwegs sichere Gelegenheit bot, mit Lisa und Alika in die Büsche zu schlagen. Während sie hinter Andrej herhastete, dachte sie daran, dass sie eigentlich bei der Fürstin hatte bleiben wollen, bis deren zweites Kind geboren war, streifte ihre Gewissensbisse aber mit einem Achselzucken ab, denn in der Not war sich jeder selbst der Nächste. Ganz wohl war ihr bei diesem Gedanken jedoch nicht. Immerhin hatte Anastasia sie durch den Kauf vor einem schrecklicheren Schicksal bewahrt und trotz aller Launen recht gut behandelt. Doch ihr Wunsch, frei zu sein und zu den Ihren zurückzukehren, war stärker als jede Dankbarkeit.
    Als Marie den Stall erreichte, hob Andrej gerade die Fürstin auf ihre Stute. Die Pferde waren bereits gesattelt worden, doch der Hengst, den Fürst Dimitri gewöhnlich ritt, wartete noch auf seinen Herrn. Dies bemerkte Andrej erst, als er selbst aufsteigen wollte. Außer ihm, Anastasia und dem Priester waren

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