Das Vermächtnis der Wanderhure
nämlich eine Dienerin und Vertraute brauchen, mit der ich mich verstehe. Du darfst nur nicht versuchen, Terbent schöne Augen zu machen und ihn mir wegzunehmen. Da werde ich nämlich böse, verstanden!«
Marie kniff verwirrt die Augen zusammen. »Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.«
»Ganz einfach! Die Griechin muss weg, aber dich werde ich hier behalten. Ich habe mich schon lange nach einer richtigen Gefährtin gesehnt.«
Das mochte wohl stimmen, auch wenn Oda ihrem Tonfall nach eher eine Sklavin suchte. Marie gefiel dieser Vorschlag ganz und gar nicht, hier bei den Tataren würde sie sicherlich keine Chance zur Flucht erhalten. Außerdem erinnerte sie sich an die Blicke, mit denen Terbent Khan sie gemustert hatte. Über kurz oder lang würde es ihn nach ihr verlangen, und dann hatte sie OdasFeindschaft am Hals. Wie gemein diese Frau werden konnte, wusste sie aus leidvoller Erfahrung.
»Ich weiß nicht, ob das so gut ist«, antwortete sie vorsichtig. »In der Heimat warten Mann und Kind auf mich, nach denen ich mich sehne. Daher könnte ich für dich gewiss nicht die treu sorgende Gefährtin werden, die du dir wünschst, zumal du deinen Gemahl früher oder später auch mit mir teilen müsstest. Terbent Khan ist auch nur ein Mann, und du weißt, wie leicht diese der Hafer sticht. Dann würden wir zu Feindinnen und müssten einander bekämpfen. Das wäre gar nicht gut.«
Oda zischte einen tatarischen Fluch und starrte Marie durchdringend an. Diese sah etwas älter aus als bei ihrem letzten Zusammentreffen, war aber immer noch eine schöne Frau. Zudem wies ihr Haar genau den Glanz auf, den Terbent Khan so liebte.
»Ich glaube, du hast Recht«, sagte sie mit gepresster Stimme.
»Die Griechin kann mir wegen ihrer Abstammung gefährlich werden, doch wenn sie Terbent langweilt, käme er rasch wieder in meine Arme zurück. Bei dir ist es anders, denn du bist eine Frau, die einen Mann in ihren Bann zu schlagen weiß. Ich erinnere mich nur allzu gut an diesen Gimpel Heribert von Seibelstorff. Wärst du dazu bereit gewesen, hätte er dich vom Fleck weg geheiratet.«
Für einen Augenblick kam die alte Oda mit all ihrem Neid und ihrer Missgunst zum Vorschein. Sie lachte aber sofort wieder und kniff Marie in die Wange. »Ich werde mit Terbent reden. Mal sehen, was ich für dich und deine Begleiter erreichen kann. Du müsstest mir allerdings einen Gefallen erweisen.«
»Welchen?« Marie war in dem Augenblick bereit, fast alles zu tun.
Oda rief etwas, und als ein junges Mädchen den Kopf zur Tür hereinsteckte, gab sie dieser Befehle in tatarischer Sprache. Die Kleine musste wohl eine ihrer Stieftöchter sein, denn sie trug mehrere Schmuckstücke und war gut gekleidet. Dennoch schiensie der Favoritin ihres Vaters aufs Wort zu gehorchen, denn sie lief hastig davon. Kurz darauf kehrte sie mit einem kleinen Jungen zurück, der gut zwei Jahre zählen mochte und Marie aus wasserhellen Augen scheu anblickte.
»Das ist mein Egon«, erklärte Oda mit einer Stimme, die nicht verriet, ob sie stolz auf das Kind war oder es hasste.
»Ein hübscher Junge. Zum Glück gerät er nach dir.« Marie lächelte den Knaben an und strich ihm über das fast weiße Haar. Mit seinem leicht rundlichen Gesicht und dem Schwung des Kinns war er tatsächlich ein Ebenbild seiner Mutter.
Oda seufzte und streckte die Hand nach ihm aus, ohne ihn zu berühren. »Leider darf ich ihn nicht so herzen und küssen, wie ich gerne möchte, denn Terbent ist sehr eifersüchtig auf ihn. Er will ihn eigentlich gar nicht haben und hat daher beschlossen, dass er ein Sklave bleiben soll. Ein Russe, sagt er, dürfe nicht mit Tataren reiten. Dabei ist Egon doch gar keiner. Weißt du, Marie, für die Tataren zählt nur die Abstammung von Vaterseite her. Terbent ist der Sohn einer russischen Sklavin und gilt dennoch als echter Tatar. Bei den Söhnen, die ich ihm gebären werde, wird es genauso sein. Nur meinem armen kleinen Egon missgönnt man, ein freier Krieger zu werden. Mir aber würde es das Herz zerreißen, wenn er ein Sklave bleiben muss.
Aus diesem Grund sollst du den Jungen mit dir nehmen und ihn aufziehen. Mache einen braven Burschen aus ihm. Ich würde dich ja bitten, diesem verfluchten Schäfflein so zuzusetzen, dass er dir und dem Kind genug Geld zum Leben gibt. Aber eine Frau unseres Ranges gilt nichts gegen so einen reichen Pfeffersack und kann ihm daher nicht an den Karren pinkeln. Ich habe es versucht, weil ich gehofft habe, ihn zu einer
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