Das Vermächtnis der Wanderhure
einiger Moskowiter gebohrt.«
Andrej redete auf Terbent ein wie auf ein krankes Pferd, in der Hoffnung, den Freund seiner Jugendtage milde zu stimmen. Dabei verrieten seine Blicke, dass es ihm weniger um sein eigenes Leben als um das der Fürstin ging. Seine Ehre gebot ihm, die Frau, die sich seinem Schutz und seiner Führung anvertraut hatte, davor zu bewahren, als Sklavin eines Tatarenanführers zu enden. Der Khan musterte Andrej durchdringend und schien unsicher zu werden. Er erinnerte sich gut an den munteren Knaben, der anders als die meisten Geiseln begeistert alles aufgenommen hatte, was er von seinem Volk hatte lernen können, und der zu ihm wie zu einem Vater oder Onkel aufgesehen hatte. Der kurze Augenblick der Weichherzigkeit verging jedoch rasch wieder, als er die Fürstin, Marie und Alika betrachtete. Die Byzantinerin würde er nicht anrühren, denn geschickt eingesetzt war sie ein Pfand, mit dem er seinen eigenen Nutzen mehren konnte.
Mit einer abwertenden Geste wies er auf Andrej und den Priester.»Bringt die beiden in eine feste Hütte und sperrt sie dort ein. Die Weiber aber schafft in das Haus meiner Frauen!«
Da er es auf Tatarisch sagte, verstand nur Andrej ihn und stieß einen wüsten Fluch aus. Im selben Augenblick sah er ein Dutzend Speerspitzen auf sich gerichtet. Widerstand wäre Wahnsinn gewesen, und so blieben ihm, dem Popen und seinen Begleiterinnen nichts anderes übrig, als sich mit ihrem Schicksal abzufinden.
XI.
D er Harem des Khans erwies sich als festes Gebäude, das etwas seitlich der großen Halle stand und noch einmal mit einem Zaun umgeben war. In der Tür des Hauses gab es ein Fenster aus dünn geschabtem Leder, das ebenfalls entfernt werden konnte. Das es umgebende Holz war mit fremdartigen Symbolen bemalt. Als Marie näher kam, zuckte sie zusammen, denn auf dem Türstock waren ganz deutlich C + M + B in lateinischer Schrift zu lesen. Marie erinnerte sich, dass das Fest der Heiligen Drei Könige erst ein paar Wochen zurücklag, und fragte sich, wer hier so weitab von den Ländern katholischer Herrscher ihres Glaubens sein mochte. Ihre Spannung wuchs, als man sie und ihre Begleiterinnen ins Innere des Hauses schob und die Tür hinter ihnen schloss.
Die Frauen und Töchter des Khans drängten sich in der Vorhalle um die Neuankömmlinge und musterten sie neugierig. Es waren recht hübsche halbwüchsige Mädchen dabei und ebenso viele alte Weiber, die wohl dem Harem von Terbents Vater angehört hatten. Andere waren ihrer einfacheren Kleidung und der geduckten Haltung zufolge Dienerinnen, die dem Khan ebenfalls zur Verfügung zu stehen hatten.
Eine große, kräftige Frau, die sich im Hintergrund hielt, stemmte die Fäuste in die Hüften und musterte die Gruppe durchdringend.»Diese Weiber sollen ja nicht glauben, sie könnten sich hier aufspielen und die Gunst des Khans für sich gewinnen!« Ihre Stimme klang böse, aber Marie verstand jedes Wort, denn die Frau hatte Deutsch gesprochen.
»Stammst du aus Kaiser Sigismunds Reich?«, fragte sie sie in ihrer Muttersprache.
Die andere sah ruckartig auf, stieß einen Schrei aus und stürzte auf Marie zu. »Bei Gott und Sankt Michael, eine Landsmännin! Was bin ich froh!«
Sie fing an zu weinen, wischte sich einen Augenblick später mit einer resoluten Geste über die Augen und musterte Marie mit wachsendem Erstaunen. »Da sollte man meinen, das Reich läge am anderen Ende der Welt, doch manchmal hat man das Gefühl, es wären nur ein paar Schritte. Sieh an, die schöne, stolze Marie! Wie kommst du denn hierher?«
»Du kennst mich?« Marie starrte die andere ratlos an. Zwar war die fremdartige Tracht mit dem bunten Frauenkaftan und der grellroten Haube mit Motiven bestickt, die sie aus Schwaben und der Pfalz kannte, aber die Frau selbst war ihr zunächst fremd, auch wenn sie ihrer Aussprache nach aus Schwaben oder Bayern stammen musste. Dann aber kam ihr das leicht boshafte Lächeln bekannt vor.
»Oda??? Das ist doch nicht möglich!«
Tatsächlich war es die ehemalige Marketenderin, die Marie auf dem Kriegszug gegen die Hussiten kennen gelernt hatte. Oda war ihr als kleinliche Frau in Erinnerung geblieben, die ihre eigenen Kameradinnen bestohlen und mit der sie damals eher Abscheu verbunden hatte. Wie Eva und Theres war auch sie froh gewesen, als Oda nach Worms gezogen war, um den Kaufherrn Fulbert Schäfflein aufzusuchen, der sie geschwängert hatte. Bei ihm wollte die Marketenderin Hilfe für sich und für ihr
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