Das Vermächtnis der Wanderhure
böhmischen Aufstands zu unterstützen und aus dem Reich Hilfe gegen die Osmanen zu erhalten, die ihm in Ungarn im Genick saßen, würde er einer Stadt wie Konstantinopel gewiss nicht die erhoffte Rettung bringen können.
Nachdem Konstantinos Dragestes und seine Männer die Straße passiert hatten, wollte Marie sich durch die sich auflösende Menge schieben, um in den Palast zurückzukehren. Da brandete erneut Lärm auf, und die Leute ballten sich zusammen, um einen weiteren Kriegertrupp anzustarren, der sich ebenfalls von Westen näherte. Diesmal waren es keine Griechen, sondern Türken in blauen Pluderhosen, eng anliegenden Westen und mit riesigenTurbanen auf dem Kopf. Rote Seidenmäntel flatterten von ihren Schultern und die Scheiden ihrer Säbel waren mit goldenen Verzierungen geschmückt. Die Griffe der Waffen bestanden aus zurechtgefeilten Hüftknochen von Pferden, und statt einer Fahne trug einer der Reiter einen Stab, von dem zwei Rossschweife herabhingen.
Bis jetzt hatte Marie die Türken nur aus der Ferne gesehen, nun konnte sie sie mit den Oströmern vergleichen, die kurz zuvor an ihr vorbeigeritten waren. Es schien, als hätten die Osmanen von der Ankunft des Kaiserbruders erfahren und eine Gesandtschaft geschickt, um den Bewohnern Konstantinopels zu zeigen, dass mehr als ein Sieg über ein paar lateinische Fürsten nötig war, um wieder frei atmen zu können.
Die Gesichter der Türken strotzten vor Selbstvertrauen, und ihr Ausdruck schien die Oströmer so einzuschüchtern, dass diese ihren Todfeinden kein einziges Schimpfwort und keinen Fluch nachriefen. Die Menschen sahen stumm zu, wie die heidnischen Krieger an ihnen vorüberzogen, und einige Frauen knieten nieder und bekreuzigten sich auf jene Marie immer noch seltsam erscheinende Weise, obwohl sie sie schon oft gesehen hatte.
Als die Osmanen verschwunden waren, hoffte Marie, die Menge würde sich endlich verlaufen. Stattdessen strömten immer noch mehr Menschen herbei, bis sie so eng aneinander standen, dass sich kaum noch jemand rühren konnte. Plötzlich wichen die Leute wie auf ein geheimes Kommando zurück und bildeten eine Gasse. Marie wollte die Gelegenheit nutzen und hindurchschlüpfen, sah dann aber einen Mann in einer bodenlangen schwarzen Kutte und einer gleichfarbigen Haube, die nur das Gesicht und den langen grauen Bart freiließ, durch das Spalier schreiten. Um seinen Hals hing eine Kette, an der ein großes goldenes Kreuz befestigt war, in der Hand hielt er einen Rosenkranz aus Ebenholzperlen.
Neben Marie sanken die Menschen in die Knie und bekreuzigtensich, und der Mann segnete sie. Es musste sich um einen hochrangigen Kirchenführer handeln, das begriff Marie auf den ersten Blick, nur wusste sie nicht, wie sie reagieren sollte. Viel zu spät für die Leute um sich herum beugte auch sie ihr Knie, und als sie sich bekreuzigte, tat sie es aus Nervosität so, wie sie es von zu Hause gewohnt war.
Sofort zischte eine alte Vettel eine Verwünschung, und das Gesicht des Kirchenmanns verzog sich, als wäre er in die Hinterlassenschaft eines Hundes getreten. Gleichzeitig packte einer der Männer einen Stein und warf ihn auf Marie.
»Verfluchte Lateinerin!«, schrie er.
»Papistenbrut!«, brüllten andere, und nun griffen etliche der Umstehenden nach Steinen, Erdbrocken und was ihnen sonst noch in die Finger geriet und schleuderten es auf Marie.
Diese begriff im ersten Augenblick nicht, wie ihr geschah. Dann nahm sie den Hass und die Mordlust in den Augen der Griechen wahr und wusste, dass sie in Lebensgefahr schwebte. Der Kuttenträger trat beiseite, um nicht selbst von den Wurfgeschossen getroffen zu werden, und gab damit dem Pöbel den Weg frei. Die Steine flogen nun so hageldicht, dass Marie den rechten Arm schützend vor das Gesicht hob und zu rennen begann. Der kleine Ausflug, den sie unternommen hatte, um der drückenden Öde des Bukoleonpalasts zu entkommen, drohte in einer Katastrophe zu enden. Den schrillen Stimmen des Mobs entnahm Marie, dass man sie in Stücke reißen wollte. Es sind doch auch Christenmenschen, dachte sie entsetzt. Aber die Griechen schienen sich mit nichts weniger zufrieden zu geben als mit ihrem Tod.
Der erste größere Stein traf sie an der Schulter und sie stöhnte vor Schmerz auf. Einige Männer versuchten ihr den Weg abzuschneiden. Marie rannte noch schneller, warf dabei einen kurzen Blick zurück und prallte gegen einen Mann, der eine Rüstung trug. Jetzt haben sie mich, konnte sie nur denken und
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