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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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vorteilhaft dünkt. Da er sich von den Osmanen bedrängt sieht, wird er das Angebot Moskaus, ihm militärische Unterstützung zu schicken, gewiss nicht abschlagen, insbesondere da diese Hilfe ihn nur die Übergabe einer Frau und zweier Kinder kostet.« Marie hatte sich in Hitze geredet, denn sie sah keinen anderen Ausweg, als Anastasiadazu zu bewegen, Konstantinopel so rasch wie möglich in Richtung Westen zu verlassen.
    Andrej stimmte ihr zu, Pantelej aber hob abwehrend die Hände.
    »Die Herrin ist durch die Geburt geschwächt und würde eine solche Reise nicht überstehen.«
    »Eine Frau kann verdammt viel aushalten!« Marie dachte daran, dass sie mehr tot als lebendig gewesen war, als Hulda von Hettenheim sie hatte wegschaffen lassen. Trotzdem lebte sie noch, und im Gegensatz zu ihr hatte Anastasia diesmal eine leichte Geburt erlebt.
    »Warten wir den morgigen Tag ab und entscheiden nach Andrejs Gespräch mit Konstantinos Dragestes, was zu tun ist.« Anastasias Angst war inzwischen verraucht, zumal Pantelej ihr versicherte, sie würde gewiss in einem der Klöster in Konstantinopel Schutz vor den Russen finden.
    Marie hielt diese Entscheidung für falsch, doch ein Tag war keine Ewigkeit, und Andrej mochte es auch noch am nächsten Tag gelingen, einen kühnen Kapitän zu finden, der sich nicht für die Namen und die Herkunft seiner Passagiere interessierte.
    Anastasia fragte Andrej nun nach Konstantinos Dragestes, den sie in ihrer Jugend mehrmals getroffen hatte, und da Marie nicht bekennen wollte, ihm begegnet zu sein, verließ sie die Runde und begab sich zu den Kammern, in denen sie sich mit Alika und den Kindern einquartiert hatte. Odas Sohn Egon saß in einer Ecke und spielte mit Holzstückchen, die Andrej ihm geschnitzt hatte. Er war ein ruhiges, fast zu stilles Kind, das sich in diesen Mauern nicht wohl zu fühlen schien. Marie schenkte ihm ein Lächeln und bemerkte erfreut, dass er es erwiderte. Allein mit diesem stummen Blickkontakt entfachte sie sowohl bei Wladimir wie auch bei Lisa einen Eifersuchtsanfall.
    Das Mädchen, das seit einigen Wochen so gut laufen konnte, dass Alika es mit einer Leine festbinden musste, damit es ihrnicht abhanden kam, stapfte auf Marie zu und streckte fordernd die Ärmchen aus. »Mama!«
    »Na komm, du Kleines!« Marie bückte sich und hob Lisa auf. Als sie es an sich drückte und einen Kuss auf ihre Wange drückte, dachte sie an die Tage, in denen sie mit Trudi auf dem Schoß in den böhmischen Krieg gezogen war. Damals hatte sie Michel gesucht, den alle für tot gehalten hatten. Sie allein hatte geglaubt, dass er noch lebte, und am Ende Recht behalten. Bei dem Gedanken an ihren Mann fragte sie sich, was Michel wohl jetzt gerade tat und wie es Trudi ergehen mochte, und ihr stiegen Tränen in die Augen.
    Sie setzte Lisa wieder ab, und Wladimir nützte die Gelegenheit, sich durch lautes Brüllen bemerkbar zu machen. Seit seine Schwester geboren worden war, hatte seine Mutter kaum noch Zeit für ihn, und das war für das verwöhnte Prinzlein ein herber Schock gewesen, denn auf dem letzten Teil der Flucht und in den Wochen danach hatte Anastasia ihn kaum aus den Armen gegeben. Marie strich ihm über die blonden Locken, die, wie sie hoffte, das einzige Erbe seines Vaters waren. Wenn der Junge Dimitris Jähzorn und dessen Mangel an Selbstbeherrschung geerbt hatte, würde er sich im Leben schwer tun.
    Für einige Zeit beanspruchten die drei Kinder Maries Aufmerksamkeit. Sie musste sie jedoch nur ein wenig herzen und mit ihnen spielen, denn Alika und Gelja, die am Fenster saß und ein Kittelchen nach russischer Art für Wladimir nähte, versorgten die Kleinen gut. Lisa und der kleine Prinz waren mittlerweile vollständig entwöhnt, und darüber war Marie sehr froh. Zuletzt hatte sie kaum noch die Kraft aufgebracht, Wladimir zu nähren, und sie war sich mehr und mehr wie eine Milchkuh vorgekommen.
    Nach einer Weile reichte Marie Lisa, die sich bis auf ihren Schoß vorgekämpft hatte, an Gelja weiter und trat in ihre Schlafkammer. Deren Einrichtung bestand aus einem Bett aushellem Holz, das einen angenehmen Duft ausströmte, mehreren bunt bemalten Truhen und einem Gestell für die Waschschüssel. Dazu gab es noch ein an der Wand befestigtes Bord mit einem kleinen Handspiegel und mehreren Salbendöschen für die Schönheitspflege. Zuerst hatte Marie schon beim Anblick dieser Mittel die Nase gerümpft. Inzwischen aber verwendete sie die Kosmetika neben anderen, die sie nach eigenem

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