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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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starrte denhoch gewachsenen Krieger an. Sie blickte in ein eher derbes Gesicht mit einem nachlässig gestutzten Bart, brauchte aber mehrere Augenblicke, bis sie Konstantinos Dragestes erkannte, den Bruder des Kaisers, der erst vor kurzem an der Spitze seiner Soldaten an ihr vorbeigeritten war.
    Ihn hätte sie eher in einem der Paläste vermutet, die sich zwischen Anastasias Quartier und der Irenenkirche erstreckten. Stattdessen stand er hier und bewahrte sie mit einem raschen Griff vor dem Sturz. Seine Miene wirkte fast ein wenig belustigt, als er sich zwischen sie und ihre Verfolger stellte und diese herausfordernd musterte. »Ich hoffe, ihr seid ebenso mutig, wenn es gegen die Türken geht, meine Freunde. Ein schutzloses Weib zu töten ist eines wahren Romäers unwürdig.«
    Die Menschen hatten den Bruder des Kaisers ebenfalls erkannt und ließen die Steine hinter ihrem Rücken fallen. Alle Männer verbeugten sich, die Weiber sanken auf die Knie und schlugen das Kreuz.
    »Lang lebe Konstantinos Dragestes, der Sieger von Achaia!«, riefen sie, und einige Mädchen pflückten rasch Blumen, um sie dem Feldherrn zuzuwerfen. Dieser fing mehrere Blüten auf und hob dann die Hand.
    »Geht wieder an euer Tagwerk, meine Lieben. Ihr seht hier keinen der Prälaten des Papstes vor euch, der euch zwingen will, euch seinem Herrn zu unterwerfen, sondern ein schwaches Weib, welches nichts dafür kann, dass es dort geboren wurde, wo es herkommt.«
    »Ihr habt Recht, Herr!« Der Mann, der am eifrigsten geschrien hatte, senkte noch einmal sein Haupt und winkte dann anderen, mit ihm zu kommen. Hinter ihnen verlief sich die Menge und Marie atmete erleichtert auf.
    »Danke, Herr! Ich glaube, Ihr habt mir soeben das Leben gerettet.«
    »Das glaube ich auch.« Konstantinos Dragestes bleckte dieZähne und zischte einen Fluch. Er hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt und bot Marie den Arm.
    »Erlaube mir, dass ich dich nach Hause bringe. Die Leute sind gereizt, denn sie haben zuerst mich als den Sieger von Südgriechenland einreiten sehen, und kurz darauf die Türken.«
    »Danke, Herr! Es ist sehr freundlich von Euch, mich zum Bukoleonpalast zu begleiten. Aber weshalb haben die Leute ihre Steine nicht auf die Osmanen geworfen? Die sind doch ihre Feinde!«
    »Vor dir hatten sie keine Angst, sondern empfanden nur uralten Hass. Die Türken fürchten sie, und keiner von ihnen würde es wagen, einen Gesandten Sultan Murads herauszufordern. Anders ist es jedoch bei euch Lateinern. Der Pöbel hat schon mehrere Gesandte des römischen Bischofs in Stücke gerissen und ist bereit, es wieder zu tun. Schon aus diesem Grund fürchte ich, wird der Plan meines Bruders nicht aufgehen, die Kirche des Ostens mit der des Westens auszusöhnen und wieder zu vereinen. Unsere Bischöfe, Metropoliten und Patriarchen sind nicht bereit, sich Rom zu beugen. Eher werden sie sich dem Sultan unterwerfen, um die reine Lehre zu erhalten.«
    Marie wusste nicht so recht, wie sie den Feldherrn einschätzen sollte. War er nun für einen Ausgleich mit dem Westen oder ein Feind der heiligen katholischen Kirche? Seine Worte konnten sowohl das eine als auch das andere bedeuten. Sie begriff jedoch, dass es nicht gut sein würde, in dieser Richtung Fragen zu stellen, und zwang ihre wirbelnden Gedanken auf einen anderen Pfad.
    »Ich bin Euch sehr dankbar, Kaiserliche Hoheit, aber auch überrascht, dass Ihr noch einmal zurückgekommen seid.«
    »Ich wollte mir die Türken ansehen, und zwar von der Straße aus, so wie der gemeine Mann sie erlebt. Die Kerle müssen über gute Zuträger im Palast verfügen, denn der Plan zu meiner kleinen Parade wurde erst gestern gefasst. Dennoch ist Malwan Pascha mir fast auf dem Fuß gefolgt. Jetzt wird er meinen Bruder aufsuchen und sich aufblähen wie ein Frosch. Nun ja, er kann essich leisten, denn auf jeden unserer Krieger kommen zwanzig Türken, und wenn die nicht reichen sollten, vermag der Sultan zwanzig weitere Bewaffnete zu schicken.« Konstantinos Dragestes grinste bei diesen Worten, als hätte er einen unanständigen Witz erzählt.
    Während des Gesprächs waren sie dem Bukoleonpalast nahe gekommen. Der Feldherr brachte Marie noch bis zum Tor, dann verabschiedete er sich, um, wie er sagte, im Thronsaal zu sein, bevor der türkische Pascha seine Audienz bei seinem kaiserlichen Bruder beendet hatte.

VII.
     
    A ls Marie die Gemächer der Fürstin betrat, traf sie außer Anastasia auch Pantelej und Andrej dort an. Die beiden Männer

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