Das Vermächtnis der Wanderhure
wirkten besorgt und Anastasia schien von panischer Angst erfüllt zu sein.
»Was ist geschehen?«, fragte Marie.
»Wir müssen fliehen!« Anastasia bekam die Worte kaum über die Lippen.
Andrej nickte mit verkniffener Miene. »Mein Onkel Lawrenti ist mit einer Gesandtschaft aus Moskau in die Stadt gekommen, wie ich von einem Verwandten Fürstin Anastasias erfahren habe. Der Mann wusste zu berichten, dass Großfürst Wassili ihre Auslieferung und die ihres Sohnes fordert. Kaiser Ioannis hat erst einmal um Aufschub gebeten, weil die Herrin gerade erst geboren hat, doch ich bin sicher, dass er den Moskowitern nachgeben wird. Diese bieten ihm nämlich das, was er am dringendsten braucht: Waffenhilfe gegen die Osmanen.«
Andrej litt sichtlich unter der Angst um Anastasia, und er hatte auch allen Grund dazu. Wenn es stimmte, was ihm zugetragen worden war, so schwebten die Fürstin, Wladimir und die kleine Zoe in höchster Gefahr.
Marie fand den Gedanken an Flucht gar nicht so übel, spielte er ihr doch in die Hände. Mussten sie Konstantinopel verlassen, gab es nur einen Weg, Anastasia in Sicherheit zu bringen, und der führte nach Westen, in Richtung ihrer Heimat.
Marie hatte den Ausspruch von Konstantinos Dragestes noch im Ohr, dass die Türken gute Zuträger im Palast haben müssten, und war sich nun sicher, dass die Moskowiter oder deren Freunde Spione im Haushalt der Fürstin Anastasia hatten. Daher stemmte sie die Hände in die Hüften, um ihren Standpunkt zu unterstreichen. »Wir sollten uns auf eine Flucht vorbereiten, aber so, dass die Dienerschaft, die um uns herumwieselt, nichts davon mitbekommt. Bestimmt überwacht man uns! Ich vermute, dass sich jemand unter dem Gesinde befindet, der der russischen Sprache mächtig ist und heimlich Bericht über all das erstattet, was wir tun.«
Maries Worte brachten die anderen dazu, sich erschrocken umzusehen. Durch die offene Tür zum Korridor sahen sie eine junge Magd, die gerade den Boden fegte, doch niemand konnte sich erinnern, das schleifende Geräusch des Besens bereits während des Gesprächs vernommen zu haben.
Für einen Augenblick verließ Andrej der Mut. Er fasste sich jedoch rasch wieder und zwang ein freudloses Grinsen auf seine Lippen. »Du hast Recht! Es wird jedoch fast unmöglich sein, einen Schiffer zu finden, der uns mitnimmt, ohne dass unsere Feinde es bemerken. Es gibt noch ein anderes Problem: Man hat mich für morgen in den Manganapalast eingeladen, weil der Kaiser mich seinem Bruder Konstantinos vorstellen will. Dieser sammelt Krieger, um Südgriechenland gegen die Türken verteidigen zu können. Als einer der Recken des toten Dimitri sollte es mir eine Ehre sein, unter Dragestes zu dienen. Doch wenn ich dieses Angebot annehme, bleiben Fürstin Anastasia und ihre Kinder schutzlos zurück.«
Pantelej schnaubte beleidigt, weil er sich von Andrej nicht gewürdigtfand, aber Marie verstand, was der Ritter meinte. Der Priester war ein Mann des Wortes und vermochte nichts gegen einen Mann mit einem scharfen Schwert auszurichten.
»Kannst du die Aufforderung ablehnen, dich dem Bruder des Kaisers anzuschließen?«, fragte Anastasia leise.
Andrejs Hand fuhr zum Griff seines Schwertes. »Ich werde es tun, auch wenn man mich für einen Feigling halten wird. Deine Sicherheit ist mir wichtiger als mein Ruf als Krieger.«
Die Fürstin schenkte Andrej einen warmen Blick, der den jungen Mann sichtlich wachsen ließ. Marie wusste jedoch, dass der Recke kein Garant für ihr weiteres Wohlergehen sein würde. Mit einem schnellen Schritt trat sie zur Tür und verschloss die Flügel vor der erstaunten Scheuermagd.
»Ich möchte nicht, wenn man uns beim Reden auf die Lippen sieht«, sagte sie leise zu den anderen.
Andrej nickte und kniete dann vor Anastasia nieder. »Ich beschwöre dich, Herrin, Konstantinopel zu verlassen! Auch wenn du hier geboren worden bist und gehofft hast, in dieser Stadt eine Heimat für dich und deine Kinder zu finden, bist du hier nicht mehr sicher. Der Einfluss Moskaus ist zu stark.«
Die Fürstin hatte als Erste von Flucht gesprochen, doch nun schien sie anderen Sinnes geworden zu sein. »Mein Verwandter, der Kaiser, wird mich und meine armen Waisen schützen.«
»Darauf würde ich nicht wetten!«, sagte Marie auf Deutsch und zog fragende Blicke auf sich.
»Was hast du gesagt?«, wollte Anastasia wissen.
»Ich würde mich an deiner Stelle nicht auf die Gunst des Kaisers verlassen, Herrin. Er wird so entscheiden, wie es ihm
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