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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Glanz, der verriet, dass sie die Schrecken der Flucht und ihre gewiss nicht immer einfache Ehe mit Dimitri von Worosansk langsam zu vergessen begann. Hatte sie sich in Russland mehr an ihren Beichtvater Pantelej gehalten, so war mittlerweile Andrej ihr bevorzugter Gesprächspartner geworden. Noch lief ihre Freundschaft in allen Ehren ab, doch Marie war sicher, dass die beiden, wenn sich ihnen die Gelegenheit bot, gewiss mehr miteinander anfangen würden als nur über das schöne Wetter zu reden.
    Bei dem Gedanken zuckte Marie mit den Schultern. Es war nicht ihre Sache, über Anastasias und Andrejs Moral zu wachen. Außerdem vermochte eine angenehme Stunde in den Armen eines geliebten Mannes viel Leid aufzuwiegen. Marie seufzte, denn sie erinnerte sich an Michel und sehnte sich danach, seine Arme um sich zu spüren und von ihm zu hören, dass er sie noch immer liebte. Doch würde das wirklich noch der Fall sein? Sie waren jetzt schon zum zweiten Mal für längere Zeit getrennt worden, und sie fragte sich, welche Lügen Hulda von Hettenheim unter die Leute gebracht hatte, um ihr Verschwinden zu kaschieren. Vielleicht hatte Michel annehmen müssen, sie sei tot, und war eine neue Ehe eingegangen. Diese Vorstellung tat ihr weh, aber Marie sagte sich, dass sie ihm deshalb nicht böse sein dürfe. Eine erst kürzlich übernommene Herrschaft wie Kibitzstein brauchte nun einmal eine Herrin und ihre kleine Trudi eine Mutter, die für sie sorgte.
    Mit einem Mal erschien ihr die Idee einer Rückkehr nicht mehrso verlockend zu sein wie bisher. Vielleicht, sagte sie sich, sollte sie bei Andrej und Anastasia bleiben und ihnen zureden, den Vorschlag von Konstantinos Dragestes anzunehmen, sich in seinem Machtbereich auf dem Peloponnes niederzulassen. Die beiden fürchteten sich jedoch davor, im Einflussgebiet Konstantinopels zu leben, denn es war möglich, dass Moskaus Arm sich auch dort nach ihnen ausstreckte.
    Ein Aufschrei schreckte Marie aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und sah einen Matrosen, der den kleinen Egon am Kragen gepackt hatte und eben wieder auf den Boden stellte.
    »Der Racker wäre von Bord gefallen, wenn ich ihn nicht rechtzeitig erwischt hätte!« Der Mann war Venezianer, und sein Griechisch klang fast noch grauenhafter als das von Marie.
    Sie verstand aber die unausgesprochene Aufforderung und reichte ihm als Dank für seine Tat eine Münze. Dann nahm sie ihm Egon ab und sah vorwurfsvoll auf ihn herab.
    »Habe ich dir nicht verboten, hier auf dem Deck herumzuklettern? Es ist zu gefährlich!«
    Der Junge nickte und schluckte mannhaft die Tränen hinunter, die ihm in die Augen stiegen. »Ich mache es nicht wieder«, versprach er mit dünner Stimme.
    Marie hätte keinen halben Heller darauf verwettet, denn der Junge war nun einmal in dem Alter, in dem er alles erforschen wollte, und hier gab es keine Tataren, die ihn mit barschen Stimmen in die Schranken wiesen. Die venezianischen Seeleute waren da ganz anders. Einer hatte immer Zeit für ihn, und selbst der Capitano, der Ehrfurcht gebietend auf seinem Achterkastell thronte, war sich nicht zu schade, den kecken Burschen das eine oder andere Mal auf den Arm zu nehmen und ihm die Seevögel oder die Delfine zu zeigen, die das Schiff begleiteten.
    Da sie Alika zu Lisa nicht auch noch Egon aufhalsen wollte, suchte Marie sich einen geeigneten Platz, nahm ihn auf den Schoß und erzählte ihm eine Geschichte aus ihrer Heimat, in derwackere Ritter und brave Kaufleute die Hauptrolle spielten. Dabei wanderten ihre Gedanken bis an den Rhein und darüber hinaus. Es gab zwei Gründe für eine Rückkehr in die Heimat. Zum Einen hatte sie Oda versprochen, Egon dort aufzuziehen, und zum Zweiten ging es um ihren eigenen Sohn. Sie musste ihn, falls er noch lebte, Hulda von Hettenheim entreißen und ihn Michel geben, auch wenn ihr Weg danach in ein Kloster führen würde oder in ein kleines Häuschen in einer fremden Stadt, in der sie mit Alika, Lisa und Egon leben konnte. Vielleicht würde Trudi sie dort von Zeit zu Zeit besuchen dürfen. Viel lieber hätte sie ihre Tochter ebenfalls um sich gehabt, doch Trudi musste ihrem Stand gemäß leben und aufgezogen werden, sonst würde der Adel sie nicht als Nachkomme eines Reichsritters anerkennen und ihr die Heirat in ihren Kreisen verwehren. Außer Marie machte sich in diesen Stunden noch jemand sorgenvolle Gedanken um die Zukunft, nämlich Pantelej, der mit vor Trauer dunklen Augen auf das Meer hinausblickte. Er war Russe bis ins Mark,

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