Das Vermächtnis der Wanderhure
Knie sank, und wandte sich dann Alika zu, die er zu Beginn so stark bekämpft hatte. Auch ihr malte er das Kreuz auf die Stirn. Nun war Anastasia an der Reihe. Die Fürstin weinte so herzzerreißend, als verlöre sie einen lieb gewordenen Verwandten.
Pantelej legte ihr die Hand aufs Haupt und rang sich ein Lächeln ab. »Vertraue auf Gott, meine Tochter, und auf die Heilige Jungfrau. Sie werden dir den rechten Weg weisen. Und dir auch, Andrej. Beschütze die Fürstin!«
Der Priester umarmte den jungen Recken und blieb dann vor Marie stehen. »Du bist stark, Frau aus dem Westen, und wirst diesen verlassenen Seelen ein Leitstern sein in einer ihnen fremden Welt. Gott sei mit dir!«
Sein Daumen berührte ihre Stirn und formte das Kreuz, dann drehte er sich um und blickte wehmütig auf das Boot des Klosters hinab. Marie schluckte ihre Tränen hinunter und folgte dem Priester bis zur Reling. »Möge Gott auch mit dir sein, Pantelej Danilowitsch. Bete auch für mich!«
»Das werde ich tun. Gott segne euch alle!« Der Priester grüßte noch einmal die Menschen, mit denen er zweimal die Gefahren der Flucht geteilt hatte, und ließ sich von den Matrosen über Bord heben.
Unten wurde er von starken Armen empfangen. Marie sah zu, wie er sich in der Mitte des Bootes hinsetzte und starr zu der von Pinien gekrönten Halbinsel blickte. Offensichtlich hatte er seine Vergangenheit abgestreift wie ein altes Hemd. Ein wenig beneidete sie ihn deswegen, denn ihr graute vor dem Weg, der noch vor ihr lag, und vor dessen ungewissem Ende.
Eine Hand stahl sich in die ihre. Als sie sich umwandte, stand Anastasia neben ihr. Das Gesicht der Fürstin war bleich und ihre Lippen zitterten. »Es kommt mir so vor, als hätte ich meine Heimat nun endgültig verloren.«
Andrej ergriff die andere Hand der Fürstin und drückte sie sanft.
»In Gedanken wird Pantelej immer bei uns sein. Möge er hier den Frieden finden, der ihm weder in Russland noch in Konstantinopel vergönnt war.«
Anastasia blickte lächelnd zu ihm auf. »Du hast Recht. Pantelejs Geist wird uns immer leiten, wohin wir uns auch wenden werden.«
Wie auf einen geheimen Befehl blickten beide Marie an, auf deren Rat und Wirken sie nun angewiesen waren. Sie besaßen weder genug Geld, um in einem der westlichen Länder standesgemäß auftreten zu können, noch kannten sie einen Menschen, der bereit gewesen wäre, ihnen beizustehen.
XIII.
N egroponte, Modon, Durazzo, Ragusa, Zara – die Stationen der Reise reihten sich aneinander wie Perlen an einer Schnur. Marie hatte kaum Augen für die abwechselnd wilden und sanften Uferlandschaften und die stolzen Hafenstädte, für sie waren es nur Etappen auf dem Weg, der sie in die Heimat bringen würde. Als Venedig, die Königin des Mittelmeers, vor ihnen auftauchte und malerisch vom Licht der tief stehenden Sonne beschienen wurde, fühlte Marie sich kaum von dem Anblick der märchenhaften Lagunenstadt in ihrer fast nicht zu trennenden Grenze zwischen Meer und Land berührt, während Anastasia, Alika und Andrej sich nicht genug wundern konnten.
Marie begab sich in die luftige, teilweise nur mit Segeltuch abgetrennte Kammer unter dem zum Schiff hin offenen Achterdeck, die sie mit Anastasia und den anderen Frauen geteilt hatte. Gelja, die die fremdartige Stadt eine Weile bestaunt hatte, entsann sich ihrer Pflichten und stieg ebenfalls unter das Deck.
Während sie packten, wandte sie sich kopfschüttelnd an Marie. »Man könnte fast glauben, hier würden keine richtigen Christenmenschenleben, sondern Nöcken und Nixen, die mehr dem Wasser als dem Land zugetan sind.«
Marie zuckte mit den Schultern. »Die Venezianer sind Menschen wie du und ich, auch wenn ihre Augen sich auf das Meer richten und die Ufer, die jenseits davon liegen.«
»Ich hoffe, wir müssen nicht allzu lange hier bleiben.« Gelja schüttelte sich, denn eine Stadt, die man nicht auf eigenen Füßen durchqueren konnte, flößte ihr Angst ein.
Marie hoffte, dass Anastasia und Andrej dieses Gefühl teilten, dann konnte sie sie umso leichter dazu bewegen, mit ihr nach Norden zu reisen. Sie hatte Andrej schon vorgeschlagen, sich Kaiser Sigismund oder einem der anderen Mächtigen im Reich als Gefolgsmann anzudienen, und hoffte, dass er diese Idee in Erwägung zog.
»Wo sind die Kinder?«, fragte sie nach einer Weile besorgt und stieg wieder nach oben.
»Keine Sorge, die Matrosen kümmern sich um sie.« Gelja, die Marie wie ein Schatten folgte, wies nach vorne. Dort
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