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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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hinabgestürzt.
    Unten beugte sich Beate über Mine und rüttelte sie. Doch es gab keinen Zweifel: die Magd war tot. Wie zum Tort für Hulda spielte ein Lächeln auf Mines Lippen, als hätte die Magd im letzten Augenblick einen Blick ins Himmelreich getan. Von Grauen erfüllt wich Beate vor dem Leichnam zurück und schlug die Hände vors Gesicht.
    An ihrer Stelle bestätigte Tautacher seiner Herrin den Tod der Magd. »Das Miststück hat der Teufel geholt!«
    »Was ist mit ihrem Kind? Los, schneidet ihr den Bauch auf! Ich muss es haben!«, antwortete Hulda mit überschnappender Stimme.
    Tautacher wandte sich zu seinen Männern und wies auf die Tote.
    »Schafft das Ding in einen Schuppen und seht zu, dass ihr das Kind lebend aus ihr herausbringt.«
    Der ihm zunächst stehende Reisige wich vor ihm zurück. »Wir sollen Mine ausweiden wie eine tote Sau? Nein, das tue ich nicht, und wenn du mich erschlägst.«
    Seine Kameraden schüttelten ebenfalls die Köpfe. Sie waren harte Männer, denen ein Leben wenig galt. Doch diese Aufgabe wollte keiner übernehmen. Tautacher begriff, dass er selbst tun musste, was Frau Hulda von ihm verlangte, und hoffte, dass die Belohnung hoch genug sein würde, sein Gewissen einzuschläfern.
    »Bringt sie weg! Um das Kind kümmere ich mich selbst.« Er zog seinen Dolch und prüfte mit der Kuppe des linken Daumens die Schärfe. Als die Klinge tiefer in seine Haut schnitt als beabsichtigt, zuckte er zusammen und leckte das Blut vom Finger. Unterdessen packten vier Reisige die Tote an Armen und Beinen und schleiften sie zum nächsten Schuppen. Bevor Tautacher ihnen folgen konnte, traten sie bereits wieder ins Freie und verschwanden eilig zwischen den übrigen Gebäuden.
    Alke rief unterdessen ihre Schwester zu sich und führte gemeinsam mit ihr die Herrin ins Haus. Die beiden Mägde setzten Frau Hulda auf einen gepolsterten Stuhl, reichten ihr Wein und Naschereien und schlichen um sie herum, bereit, jeden noch so unsinnigen Befehl zu befolgen.
    Lauenstein war seiner Tochter gefolgt und hielt sich an seinem Weinbecher fest, bis Tautacher hereinkam. Der düstere Gesichtsausdruck des Hauptmanns verriet sofort, dass ihm der Erfolg versagt geblieben war. »Das Kind war ebenfalls tot.«
    »Und? War es wenigstens ein Mädchen?«
    Tautacher schüttelte den Kopf. »Es war ein Junge.«
    Er schauderte, als er an die Arbeit der letzten Minuten dachte. Einen Menschen zu töten war eine Sache, aber einer toten Frau den Leib aufzuschneiden und in ihren Eingeweiden herumzuwühlen, war auch für ihn zu viel gewesen. Dieses Bild würde ihn wohl bis zu seinem Lebensende verfolgen.
    Rumold von Lauenstein funkelte seine Tochter zornig an. »Ichwill nur hoffen, dass du mit einem Sohn niederkommst, denn ich habe verdammt viel Geld ausgegeben, damit einige wackere Ritter und Bürger bereit sind, die glückliche Geburt des Erben von Hettenheim zu beurkunden, ohne dabei gewesen zu sein.«
    Hulda strich mit ihren Händen über ihren weit vorgewölbten Bauch und spürte, wie eine erste Schmerzwelle sie erfasste. Sollte sie jetzt nach Mines auch noch ihr eigenes Kind verlieren?, fragte sie sich entsetzt. Doch dann keimte Hoffnung in ihr auf. Sie hatte das Kind lange genug ausgetragen, um es lebend zur Welt bringen zu können. »Alke, Beate, helft mir! Ich glaube, gleich ist es so weit.«
    »Aber es ist doch noch zu früh!«, schrie Lauenstein erschrocken auf.
    Mehr konnte er jedoch nicht mehr sagen, denn Beate kam auf ihn zu und wies auf die Tür. »Es ist besser, Ihr verlasst den Raum, Herr, und Ihr, Tautacher, ebenfalls. Nun ist Frauenwerk angesagt.«
    Lauenstein wechselte einen kurzen Blick mit dem Hauptmann, und dann schossen die beiden so eilig hinaus, als wäre eine Meute Bärenhunde hinter ihnen her. Erst im Rittersaal hielten sie inne und befahlen einem Diener, Wein zu bringen. Es blieb nicht bei einem Krug, und als die Knechte Fackeln und Kienspäne anzündeten, um den Saal zu erhellen, war Lauensteins Zuversicht wiederhergestellt. Wohl hatte die Geburt überraschend eingesetzt, doch schließlich war es nicht das erste Kind, das seine Tochter gebar, und sie hatte sich nie lange damit abplagen müssen.
    Als Tautacher spät in der Nacht berauscht vom Stuhl sank und schnarchend unter dem Tisch liegen blieb, streckte die Angst ihre langen, kalten Finger nach Lauenstein aus. Er blickte zur Decke, als könne er bis in den Raum hineinsehen, in dem seine Tochter in den Wehen lag, und lauschte den Geräuschen, die zu ihm

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