Das Vermächtnis der Wanderhure
drehte den Bug flussabwärts. Die Bordwand war höher als bei Rheinschiffen sonst üblich, und das Fahrzeug hatte ein durchgehendes Deck und einen festen Aufbau am Heck. Der Schiffer musste nicht erst nach dem Wimpel am Mast schauen, um zu wissen, wen er vor sich hatte.
»Blutiger Höllenhund, das ist Labadaire! Der Kerl ist heuer früher unterwegs als die Jahre zuvor. Der Teufel soll ihn fressen! Komm, Xander, nimm die Stake und leg dich ins Zeug. Wenn wir den Kahn nicht erwischen, haben wir das Weibsstück bis zum nächsten Jahr am Hals.« Harro eilte zum Mast, um das Segel aufzuziehen, auf das er wegen des schwachen Windes bisher verzichtet hatte. Doch als das Tuch sich wölbte, war sein Schiffchen der Geschwindigkeit des Franzosen immer noch weit unterlegen.
Xander, der es bislang abgelehnt hatte, auch nur einen Handstreich zu tun, half dem Schiffer ohne Murren, auch das zweite Segel zu befestigen. Nun nahm ihr Prahm Fahrt auf, und da der Ritter mit der langen Stange zumeist Grund fand, stellten die beiden Männer aufatmend fest, dass sie Labadaires Barke langsam näher kamen. Um den Sklavenhändler auf ihr Schiff aufmerksam zu machen, stellte Xander sich vorne an den Bug und brüllte mit Harro im Chor. Als dem Ritter die Kraft auszugehen drohte, hatten sie so weit aufgeholt, dass man ihre Rufe auf dem anderen Schiff vernahm.
»Labadaire, du alter Schurke, willst du einem Freund nicht guten Tag sagen?«, schrie Harro hinüber.
Ein in einen dicken Mantel gehüllter Mann trat ans Heck des größeren Schiffes und äugte misstrauisch herüber. Als er den Schiffer erkannte, glätteten sich seine besorgten Gesichtszüge.
»Harro? Du fährst ja immer noch mit deinem Schweinetrog aufdem Strom. Ein Wunder, dass du noch nicht untergegangen bist!«
»Da warte ich, bis du es mir vormachst, du verdammter Halsabschneider!«
Während dieser herzlichen Begrüßung glitt Harros Boot längsseits, und Xander nahm die Leine entgegen, die ihm einer der Franzosen zuwarf. Labadaire musterte erst ihn und dann Harro mit scharfem Blick.
»Du hast wohl wieder eine spezielle Fracht für mich, mein Freund! Doch ich weiß nicht, ob ich Lust habe, noch einmal das Risiko einzugehen. Die Stromvögte und Hafenkapitäne passen inzwischen so scharf auf wie Luchse.«
Harro kletterte an Bord der Barke und lachte dabei, als habe der andere einen besonders schlüpfrigen Witz erzählt. »So? Seit wann fürchtet sich der große Jean Labadaire vor diesen Hampelmännern?«
Der Franzose blieb ihm nichts schuldig, und für geraume Zeit stritten und beschimpften sie sich heftig, aber so gedämpft, dass ihre Stimmen nicht bis zum Ufer drangen.
Mit einem Mal wandte Harro sich an Xander, der ihm gefolgt war und dem Gespräch mit verwirrter Miene zugehört hatte.
»Mein Freund Jean verlangt einhundert Gulden dafür, dass er die Frau mitnimmt.«
»Lieber werfe ich sie in den Rhein und lasse sie ersaufen.« Xander drehte sich um und tat so, als wolle er auf den Prahm zurückkehren, um seine Drohung auf der Stelle wahr zu machen.
Sofort begann der Sklavenhändler einzulenken. »Gib mir fünfzig Gulden und du bist sie los.«
»Keinen einzigen! Eher soll der Strom sie haben.« Xander hatte Harros Behauptungen, Labadaire würde Geld verlangen, statt welches zu zahlen, nicht ganz ernst genommen und es versäumt, Schäfflein mehr als jene Hand voll Gulden abzupressen, die er für die Rückreise benötigte. Daher enthielt sein Beutelnur einen Bruchteil der Summe, die der Sklavenhändler verlangte.
Labadaire zog die Stirn kraus und schien das Risiko abzuwägen. Schließlich gewann seine Geldgier die Oberhand. »Also gut, ich sehe mir die Frau an. Kann man mit ihr noch etwas anfangen, nehme ich sie umsonst mit, ansonsten wandert sie tatsächlich in den Strom.«
»Deine Leute können das Weibsstück in der Nebelwand dort vorne an Bord nehmen.« Harro zeigte dabei auf einen dichten grauen Schleier, der sich ein Stück stromabwärts über das Wasser spannte. Auch er wollte die Fracht endlich loswerden und schnauzte Xander an, ihm dabei zu helfen, die Kiste mit der Gefangenen freizuräumen.
Der Ritter zögerte, denn ihm wurde jetzt erst bewusst, dass Frau Huldas Feindin an diesem Tag in völlig fremde Hände überging. Was würde geschehen, wenn der Franzose Marie Adlers Worten Glauben schenkte, die Ehefrau des Reichsritters Michel Adler auf Kibitzstein zu sein, und ihr half, nach Hause zurückzukehren? An diese Möglichkeit hatte seine Herrin wohl nicht
Weitere Kostenlose Bücher