Das Vermächtnis der Wanderhure
als Gefolgsmann aufzunehmen.«
Michels Stimme gab keinen Aufschluss, wie er zu dem schmucken Burschen stand. Den anderen am Tisch war anzumerken, dass sie den Junker noch nicht in ihren Kreis aufgenommen hatten. Er weilte wohl noch nicht lange genug unter ihnen und würde sich bemühen müssen, jenes kameradschaftliche Verhältnis aufzubauen, welches die anderen teilweise schon seit Jahren miteinander verband.
Heinrich fragte sich, welchen Grund der Vater des Jünglings gehabt haben mochte, ihn ausgerechnet nach Kibitzstein zu schicken. Als Freier für Trudi kam er noch nicht in Frage, denn das Mädchen würde erst in zehn Jahren als mannbar gelten und verheiratet werden können. Allerdings hatte ein schmucker junger Ritter, der sich bis dorthin in ihr Herz geschlichen hatte, die besten Aussichten auf ihre Hand. Zudem mochte der Reichsritter auf Dieboldsheim es für nützlich erachten, bei einer bevorstehendenFehde auf eine mögliche Unterstützung durch den Herrn von Kibitzstein hinweisen zu können, zumal Michel beim Kaiser hoch angesehen war.
Der Gedanke an Sigismund brachte Ritter Heinrich dazu, das Gespräch in eine neue Richtung zu lenken. »Ich komme nicht zufällig vorbei, denn ich bin auf dem Weg nach Nürnberg. Mein Abt hat durchgesetzt, dass ich ein weiteres Mal zum Hauptmann der zusammengezogenen Truppen unseres Gaus ernannt worden bin. Wir sollen nach Böhmen marschieren und die Kelchbrüder, die sich mit Herrn Sigismund geeinigt haben, gegen die rebellischen Taboriten unterstützen. Ich bezweifle jedoch, dass es dazu kommt, denn der Kaiser soll nach Ungarn aufgebrochen sein, um sich den Osmanen entgegenzustellen, die wieder einmal das Land verheeren.«
Mit dieser Nachricht gelang es dem Ritter, seinen Freund aus seiner Lethargie zu reißen. Michel schüttelte den Kopf und lachte dann bitter auf. »Bei Gott, wenn der Kaiser seinen böhmischen Verbündeten nicht beisteht, werden die Taboriten sie zerschmettern, und was danach folgt, wird ein Krieg sein, der alles bisher da Gewesene übertrifft.«
»Die Herren Heinrich von Niederbayern, Albrecht von Österreich und Friedrich von Sachsen haben bereits bekundet, die Kelchbrüder unterstützen zu wollen. Ihnen ist am meisten daran gelegen, Böhmen zu befrieden, denn ihre angrenzenden Ländereien wurden oft genug von den Hussiten verwüstet.«
Seine Bemerkung war der Beginn einer längeren Diskussion über die Lage in den Unruhegebieten des Reiches. Ingold von Dieboldsheim gab Ansichten von sich, die von großem Interesse und selbständigem Denken zeugten. Heinrich von Hettenheim war froh, dass der Junker sich als guter Gesprächspartner erwies, denn er hätte nicht gewusst, wie er Michel ohne Unterstützung aus dem Kokon seiner Trauer hätte herausholen können.
Michel gab seine Überlegungen zuletzt sogar recht lebhaft zumBesten und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Es ist ein Kreuz mit dem Reich und leider auch mit dem Kaiser! Er kann nicht genug Kronen auf seinem Haupt sammeln und hält doch keine richtig fest. Was soll ihm dieses Ungarn? Er bekommt von den Leuten dort keine Bewaffneten und keinen einzigen Gulden für seine Belange im Reich. Stattdessen muss er Krieger und Gold aus den eigenen Besitzungen herausziehen, um die Grenzen dieses Landes gegen die osmanischen Heiden halten zu können. Die aber gehen ihm im Kampf gegen die Taboriten ab. Die böhmische Krone mag er meinetwegen tragen, denn schließlich zählt diese Gegend zum Reich. Doch Ungarn geht uns gar nichts an …« Michel brach ab, um nicht allzu ungehörig vom Kaiser zu sprechen.
Junker Ingold war anzusehen, dass er Michels Ansicht nicht teilte, doch als jüngster Ritter an der Tafel wagte er es nicht, seine Meinung zu heftig zu vertreten, zumal Ritter Heinrich dem Gastgeber lebhaft zustimmte. »Der Kaiser verzettelt sich und kämpft an zu vielen Fronten, anstatt seine Macht dort zu festigen, wo es notwendig wäre. Die Zeche werden am Ende diejenigen bezahlen, die ihm Geld und Leute für seine schlecht geplanten Kriegszüge zur Verfügung gestellt haben, nämlich Reichsritter wie ihr, kleine Reichsstädte und die Reichsabteien, zu denen auch die gehört, für die ich kämpfe. Die ganz hohen Herren, deren Vasallen und Aftervasallen halten sich fein aus den Auseinandersetzungen heraus und raffen dabei immer mehr Land an sich. Wenn es so weitergeht, wird das Reich noch zerbrechen!«
»Das will ich doch nicht hoffen. Seit Karl IV. hat das Reich mehrere schwache Kaiser ertragen,
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