Das Vermächtnis der Wanderhure
bringt. Aber den würde ich dir lieber bei einem guten Braten und einem Becher Wein verpassen. Außerdem bin ich nass bis auf die Haut.«
»Verzeih, ich bin ein schlechter Gastgeber. Zdenka, kümmere dich darum, dass Herr Heinrich ein warmes Bad und frische Kleider bekommt. Dann lass auffahren, was Küche und Keller für zwei hungrige Gäste hergeben.« Michel drehte sich zu der Wirtschafterin um, die er und Marie aus Böhmen mitgebracht hatten, und sah, dass Zdenka dem Gesinde bereits die nötigen Befehle erteilte.
Unterdessen war Trudi Mariele entschlüpft und sprang nun ungeachtet des Regens in ihrem dünnen Kleidchen die Treppe des Palas herab. Mit ausgebreiteten Armen rannte sie auf Ritter Heinrich und Anselm zu. »Habt ihr Mama mitgebracht?«
Heinrich von Hettenheim schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nicht, Schätzchen. Deine Mama ist im Himmel und passt von dort aus auf dich auf.«
Die Kleine schürzte die Lippen und funkelte ihn zornig an.
»Meine Mama ist nicht im Himmel! Ich weiß, dass sie zurückkommen wird.«
»Trudi versteht noch nicht, was geschehen ist.« Michel nahm seine Tochter auf den Arm, drückte sie an sich und sah ihre blauen Augen auf sich gerichtet, die ein wenig dunkler waren als die ihrer Mutter. In diesem Augenblick vermisste er Marie noch mehr als sonst.
XIV.
E ine Weile später saßen Michel, seine Gäste und einige seiner Getreuen an der Tafel. Obwohl Zdenkas Mägde schöne Bratenstücke, frisches Brot und einen süffigen Wein aufgetragen hatten, aßen die meisten, als habe man ihnen Sägespäne hingestellt.
Selbst Heinrich von Hettenheim, den der Ritt hungrig gemacht hatte, musste sich zwingen, etwas zu sich zu nehmen. Es erfüllte ihn mit Sorge, dass Michel in seinem Essen herumstocherte, es aber nur auf dem Teller verteilte, anstatt es zum Mund zu führen. Seinen Weinbecher aber hatte er sich in der kurzen Zeit zum vierten Mal mit dem schweren Getränk füllen lassen, welches hier ausgeschenkt wurde, und er leerte ihn jedes Mal bis zur Neige.
Anni und Zdenka schien es ebenfalls nicht zu gefallen, dass Michel so viel trank, doch sie hatten keine Möglichkeit, ihn davon abzuhalten. Ritter Heinrich bedauerte, dass Michi nicht anwesend war, denn dem aufgeweckten Jungen wäre es vielleicht gelungen, seinem Patenonkel ins Gewissen zu reden.
»Trinkst du nicht ein wenig zu viel, Michel?«, fragte er in die lähmende Stille hinein.
Sein Freund sah auf und starrte ihn an. »Ich? Wieso?«
»Merkst du denn nicht, dass du deinen Wein hinunterschüttest, als wäre es Wasser? Auf diese Weise wirst du deine Herrschaft schneller verlieren, als du sie bekommen hast. Bei Gott, Michel, ich habe schon genug Männer am Wein zugrunde gehen sehen und will nicht, dass es dir ebenso ergeht.« Heinrichs Stimme klang beschwörend, er war bereit, seine Freundschaft zu Michel aufs Spiel zu setzen, um ihn vor dem Abgrund zurückzureißen.
Michel betrachtete den Becher, der gerade von einer Magd zum fünften Mal gefüllt worden war, und nickte grimmig. Früher hatte er sich nie viel aus Wein gemacht und meist nur das dünne Zeug getrunken, das kaum stärker war als Wasser. Maries Verlust lag jedoch so schwer auf seiner Seele, dass er auch die guten Tropfen wahllos in sich hineingeschüttet hatte. Bei dem Gedanken daran, wie sehr er früher die unter der Aufsicht seiner Frau gekelterten Weine genossen hatte, kamen ihm wieder die Tränen wie bei allem, was ihn an Marie erinnerte.
Dennoch schob er den Becher von sich und winkte die Magd zusich. »Hol mir Wasser und misch zu einem Viertel Wein darunter. Das wird mir gewiss besser bekommen.«
Ritter Heinrich atmete innerlich auf. Wie es aussah, hatte Maries Ende seinen Freund zwar schwer getroffen, ihn aber nicht gebrochen. »So gefällst du mir besser, Michel. Misch auch mir den Wein mit Wasser, Mädchen. Dein Herr und ich haben uns viel zu erzählen, und dabei ist ein schwerer Kopf von Übel.«
Heinrich musterte nun die Gesellschaft. Die meisten kannte er von den Feldzügen in Böhmen her, und diesen stand die Trauer um Marie ins Gesicht geschrieben. Nur ein ihm unbekannter junger Mann in der Kleidung eines Edelmanns trug eine leicht gelangweilt wirkende Miene zur Schau.
»Den Jüngling dort hast du mir noch nicht vorgestellt«, erinnerte er Michel.
»Entschuldige meine Unhöflichkeit! Das ist Junker Ingold von Dieboldsheim, der Sohn eines Nachbarn. Er versteht sich nicht mit seinem älteren Bruder, daher hat sein Vater mich gebeten, ihn
Weitere Kostenlose Bücher