Das Vermächtnis der Wanderhure
am Rand der bekanntenWelt liegen, und sie fürchtete sich vor den Gefilden, in die sie noch verschleppt werden würde. Wenigstens war der Aufenthalt in ihrem Gefängnis nun angenehmer, da ein Teil der Sklaven bereits verkauft worden war und es nun Platz genug für den Rest gab. Am meisten freute Marie, dass die sechs Schuldnerinnen ebenfalls nicht mehr zurückgebracht worden waren, denn die Frauen hatten aus ihrer Verachtung für die Heidenkinder keinen Hehl gemacht, sich selbst aber wie Wildsäue benommen. Lange konnte sie ihren Gedanken nicht nachhängen, denn durch den Verkauf waren Freunde und Geschwister auseinander gerissen worden, und sie musste an diesem und den folgenden Tagen viele Tränen trocknen.
Während sich im Bauch des Schiffes wieder lähmende Gleichförmigkeit breit machte, verließ die Geit Riga und die Dünamündung und segelte nach Norden. Zoetewijn steuerte das Schiff durch die Meerenge zwischen dem Festland und den Inseln Moon und Dagö hindurch und legte anschließend den Aussagen zum Trotz, die er Labadaire gegenüber gemacht hatte, in Reval an.
Die dort lebenden Bürger wussten einen hart handelnden Geschäftsmann zu schätzen und waren bereit, über ein einmaliges Vergehen hinwegzusehen, zumal der Zwischenfall der Magd zum Guten ausgeschlagen war. Während die Sklaven versteigert wurden, leerten Arbeiter die Laderäume des Schiffes und brachten die Waren in eines der Stapelhäuser. Marie und Alika wurden wieder in den winzigen Verschlag am Heck gebracht, und diesmal dauerte es um einiges länger, bis man sie wieder herausholte. So ganz traute Zoetewijn dem Frieden nicht und fürchtete, bei einer überraschenden Inspektion seines Schiffes durch die Behörden in Schwierigkeiten zu geraten. Aber es ging besser, als er erhofft hatte. Der größte Teil seiner Waren fand Käufer, und er konnte den frei gewordenen Platz mit Pelzen, Wachs, Honig und anderen Dingen füllen, die in den Häfen des Westens teuer bezahltwurden. Auf dem Rückweg wollte er noch in Königsberg, Danzig und anderen Orten anlegen, um auch dort Waren an Bord zu nehmen. Auf dem Hinweg hatte er die ersten großen Städte meiden müssen, denn diese erhielten ebenso wie das Land um sie herum stärkeren Zustrom an Siedlern aus dem Reich. Daher waren Arbeitskräfte dort nicht rar und wurden auch nicht so gut bezahlt wie weiter im Osten. Da er seine Sklaven wegen des dortigen Stapelzwangs jedoch hätte anbieten müssen, wäre er von diesem Gesetz um seinen Verdienst gebracht worden.
Der Kapitän war mit dem Verlauf seiner Geschäfte zufriedener als bei den Fahrten der früheren Jahre, dennoch war Reval nicht der letzte Hafen, den er mit der Geit ansteuerte. Kaum waren die wenigen noch unverkauften Waren wieder an Bord gebracht worden, wurde der Anker gelichtet, und die Kogge segelte an einigen wie Finger ins Meer ragenden Halbinseln vorbei nach Osten, bis sie die Mündung der Narwa erreichte. Zoetewijn hätte nun noch den Strom hoch bis zum Peipussee segeln können, um die Stadt Pskow an dessen südlichem Ende anzulaufen. Dort könnte er ohne die deutschen Zwischenhändler einen noch größeren Profit erzielen. Ihn schreckten jedoch das Risiko der Stromfahrt und die Schikanen der Behörden ab, die allzu sehr auf den Vorteil ihrer eigenen Leute bedacht waren und sich selbst die Taschen füllen wollten. Außerdem würde ihn der Umweg so viel Zeit kosten, dass er das, was er hier gewann, zu Hause wieder verlor. Nur die Schiffe, die als erste von der Ostfahrt zurückkamen, konnten für ihre Ladung hohe Preise erzielen.
Narwa zählte nicht zu den Häfen, die Zoetewijn regelmäßig ansteuerte, doch er kannte auch hier vertrauenswürdige Händler. Ihnen konnte er die für Pskow und Nowgorod bestimmten Waren unbesorgt übergeben und sich dabei seiner letzten Sklaven entledigen, ohne dass ein übereifriger Marktschreiber seine Frachtlisten kontrollierte.
Der Händler, der Zoetewijn am Tag nach der Ankunft aufsuchte,war von Geburt Deutscher, lebte aber die meiste Zeit in Pskow und Nowgorod, den Hauptstädten zweier russischer Fürstentümer gleichen Namens. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann und, wie Zoetewijn bereits in Erfahrung gebracht hatte, sehr geschickt darin, gewisse Waren vor den immer aufmerksamen Augen der Behörden zu verbergen.
Nach dem obligaten Becher Wein in der Kajüte des Kapitäns schritten die beiden durch die Laderäume und begutachteten die Waren. Der Deutsche lobte Zoetewijn überschwänglich. Dieser
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