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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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war, wie Labadaire es ihm hoch und heilig geschworen hatte. Dieses Weib musste er auf eine möglichst geschickte Art loswerden, wenn er nicht ihretwegen in Kalamitäten geraten wollte. Er befürchtete nämlich, die üble Szene, die er vor einem Jahr in Reval erlebt hatte, würde sich hier in Riga wiederholen. Damals hatte er seine gesamte Beredsamkeit einsetzen müssen, um unbeschadet aus der Sache herauszukommen, einen zweiten Vorfall dieser Art konnte er sich so schnell nicht mehr leisten. Die Hansekaufleute, die hier das Sagen hatten, würden nicht zögern, ihn als unerwünschten Konkurrenten auszubeißen. Schon jetzt musste er sich jedes Jahr im Hansekontor von Dordrecht eine neue Konzession ausstellen lassen, um die Ostsee befahren zu dürfen.
    In seiner ersten Wut überlegte er schon, ob er den Franzosen im nächsten Jahr nicht gleich mit zu seinen Sklaven stecken und hier im Ostland verkaufen sollte. Doch für den hageren und nicht mehr gerade jungen Mann würde er nur einen Bettel bekommen, der nicht einmal die Auslagen für die Fahrt decken würde. Da war es einträglicher, einen Sträfling aus dem Schuldturm auszulösen, dessen kräftige Muskeln so manchen Käufer dazu brachten, seinen Geldbeutel aufzuschnüren. Zudem bekam er von Labadaire etliches an guter Ware, die sich leicht losschlagen ließ.
    Die Schwarze zum Beispiel würde einen guten Preis bringen, doch die würde er nicht hier in Riga verkaufen. Den frommen Bürgern der Stadt ging es vor allem um billige Arbeitskräfte, und sie würden für die Mohrin lange nicht den Preis zahlen, den er noch weiter im Osten erzielen konnte. Für diese Sklavin musste er einen Käufer finden, der mehr mit ihr im Sinn hatte, als sie Böden fegen zu lassen.
    Kurz entschlossen wandte er sich an seinen Maat. »Das Weibsstückdort hinten und die Schwarze kommen in die geheime Kammer. Schärfe ihnen ein, mucksmäuschenstill zu sein und dafür zu sorgen, dass der Balg nicht schreit.«
    Der Mann nickte und winkte Marie und Alika, mit ihm zu kommen. Die beiden gehorchten mit klopfendem Herzen und atmeten erst einmal auf, als man ihnen nichts antat, sondern sie auf das höhere Deck brachte und in eine kleine Kammer sperrte, deren Tür erst frei geräumt werden musste. Wenigstens blieben sie beisammen.
    »Seid ganz still, sonst erwürge ich euch und schmeiße euch über Bord! Und haltet dem Balg da den Mund zu, wenn er schreien will«, schnauzte der Maat sie an und wiederholte seine Worte, bis er überzeugt war, dass sie ihn verstanden hatten. Dann schloss er die Tür und stapelte die Fässer wieder davor.
    Die Kammer war so klein, dass Marie und Alika sich nur mit angezogenen Beinen setzen konnten. Durch ein paar Astlöcher in den Brettern fiel Tageslicht herein. Es reichte kaum aus, die Hand vor Augen zu sehen, aber es tat gut, einen dünnen Strahl Sonnenlicht zu spüren. Trotzdem hoffte Marie, dass sie nicht zu lange in dem winzigen Raum eingesperrt bliebe. Um Lisa zu beruhigen, die offensichtlich ihre Beklemmung spürte und unruhig wurde, legte sie die Kleine an die Brust.
    »Du bist ein tapferes Mädchen, kleine Lisa«, flüsterte sie und wunderte sich einmal mehr, dass das Kind all die Fährnisse lebend überstanden hatte. »Ich bin stolz auf dich!«
    Sie hauchte einen Kuss auf Lisas Stirn und wurde durch ein zufriedenes Glucksen belohnt.
    Alika hatte unterdessen die Astlöcher untersucht und dabei entdeckt, dass man durch zwei von ihnen ins Freie schauen konnte. Ganz aufgeregt zupfte sie Marie am Ärmel und deutete hinaus.
    »Was ist?« Marie erhob sich und schob sich neben sie. Das Loch war nur wenig größer als ihr Daumennagel, doch als sie hindurchblickte, konnte sie einen Teil des Hafens und die Stadtdahinter erkennen. Sie sah einen Mauerring, über den die Dächer dreier großer Kirchen und die dazugehörigen Kirchtürme ragten. Sie waren mit schwarzem Schiefer gedeckt, genau wie das Dach, das sich über dem Wehrgang des Torturms erhob. Der Hafen lag wohl an den Ufern eines Stroms, denn überall lagen Wasserfahrzeuge von kleinen Flussbooten bis hin zu hochbordigen Schiffen ähnlich der Sklavenkogge. Nur Schritte vom Wasser entfernt standen große, aus Stein errichtete Bauten, und zwischen diese duckten sich eine Unzahl hölzerner Hütten, die, den Symbolen auf den Schildern über ihren Türen nach zu urteilen, zum größten Teil Schenken oder Hurenhäuser sein mussten.
    Wie die Stadt hieß, wusste Marie nicht, doch im Augenblick interessierte sie die Szene, die

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