Das Vermächtnis der Wanderhure
wischte den Einwand lachend hinweg und deutete mit dem Daumen in die Richtung, in der sich der Damentrakt ihres Quartiers befand. »Wie ich gestern Abend gehört habe, soll eine neue Ladung Frischfleisch angekommen sein. Unsere Fürstin will eine zweibeinige Milchziege für ihren Sohn erstehen, und ich denke, es wird uns Spaß machen zu schauen, welch seltsame Gestalten der Sklavenhändler auf den Markt bringt.«
Dieser Vorschlag fand die Zustimmung des Fürsten und wurde auch von den meisten Höflingen wortreich begrüßt. Nur Pantelej wandte sich angewidert ab und erklärte, nicht mitgehen zu wollen.
Fürst Dimitri verließ seinen Sitz und trat neben seinen Jugendfreund. »Es ist mir auch lieber, wenn der Pope nicht mitkommt. Dessen Sauermiene kann einem jeden Spaß verderben.« Pantelej nahm in der Hierarchie der russischen Kirche einen höheren Rang ein als den eines einfachen Priesters, doch da er von Dimitri mit dem Spitznamen Pope belegt worden war, bezeichneten ihn die Gefolgsleute ebenso, zumindest dann, wenn der Geistliche es nicht hören konnte.
Es war, als hätten die Worte des Fürsten einen Befehl enthalten, denn die zehn Edelleute sprangen auf, umringten ihn und verließen die niedrige Halle, deren altersdunkle, mit groben Schnitzereien verzierte Decke von Säulen aus Baumstämmen getragen wurde, die ein Mann gerade mit den Armen umfassen konnte. Die Gruppe musste sich eine Weile durch die engen Gassen des Pskower Kremls schlängeln, denn man hatte ihnen ein Quartier im abgelegensten und wohl auch schäbigsten Teil zugewiesen. Die Wachen, die am Tor der Stadtfestung standen, beachteten die Gäste nicht, sondern unterhielten sich ungeniert über die Vorzüge einer neuen Magd.
Wasja, der vom Blick seines Fürsten getroffen wurde, öffnete das Tor und schob beide Flügel so weit auf, dass sie durch den Schmutz scharrten und dann festsaßen. Nachdem die Gruppedas Tor passiert hatte, spie einer der Pskower aus und hob die Flügel mithilfe eines Kameraden an, damit sie sich wieder schließen ließen.
»Wenn die Kerle zurückkommen, lasse ich sie auf Knien betteln, bevor ich ihnen öffne«, schimpfte er dabei.
»Vergiss es! Wenn einer von denen dir danach den Kopf abschlägt, hast du nichts davon. Oder glaubst du etwa, unser heiliges Pskow würde wegen dir einen Krieg mit Worosansk anfangen?«, spottete der andere und lenkte dann das Gespräch wieder auf die ausladenden Formen der neuen Magd.
Unterdessen strebten Fürst Dimitri und sein Gefolge so eilig dem Marktplatz zu, dass sie die anderen Passanten beinahe über den Haufen rannten. Sie erreichten die Plattform mit den Sklaven in dem Augenblick, in dem die Versteigerung begann. Dimitri machte eine verächtliche Geste und wollte sich abwenden, denn die mageren, von der langen Reise geschwächten Geschöpfe schienen ihm keinen zweiten Blick wert zu sein.
Im gleichen Moment stieß Andrej einen verblüfften Ruf aus und deutete auf eine der Gestalten auf dem Podest. »Sieh dorthin, mein Fürst! Ich frage mich, ob man das Weib da schwarz angemalt hat.« Ungeachtet der irritierten Miene des Verkäufers kletterte er auf das Podest, blieb vor Alika stehen und rieb ihr mit dem Daumen heftig über die Wange, doch es löste sich keine Farbe von ihrer Haut.
Andrej starrte verblüfft auf seinen Daumen und drehte sich mit funkelnden Augen zu seinen Gefährten um. »Die ist echt!«
IX.
M arie hielt Lisa schützend umfangen und kämpfte mit den Tränen vor Scham, wie ein Kohlkopf oder ein Stück Käse zum Verkauf angeboten zu werden. Hör auf zu kämpfen, sagte etwasin ihr. Es hat doch keinen Zweck! Dein Schicksal ist besiegelt. Es war unmöglich, von hier aus den Weg nach Hause zu finden, und sie wünschte sich, sie hätte sich den Tod gegeben, bevor man sie dieser Schande aussetzen konnte. Sie fragte sich, ob es ihr wohl gelingen würde, an ein Messer oder einen anderen scharfen Gegenstand zu kommen, mit dem sie ihr Leben beenden konnte. In dem Moment, in dem sie sich vorstellte, wie es sein mochte, sich selbst die Kehle durchzuschneiden, strampelte das Kind in ihren Armen und erinnerte sie daran, dass sie nicht nur für sich allein verantwortlich war. Wenn sie sich aufgab, war auch Lisa verloren. Außerdem war da noch ihre Mohrenfreundin, um die sie sich kümmern musste. Kaum war sie sich ihrer Verantwortung bewusst geworden, sprang einer der Zuschauer auf die Plattform und fuhr mit der Hand durch Alikas Gesicht.
Als der Mann sich umdrehte und einigen
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