Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
sich bis an die Tür zurück und schien auf jemanden zu warten.
    Kurz darauf erschien der Kaufmann und musterte seine zweibeinige Ware. Als er Alikas notdürftig zusammengeknotete Lumpen bemerkte, wandte er sich seinem Untergebenen zu und bellte einen Befehl. Dieser verließ so eilig den Raum, als sähe er eine zum Schlag erhobene Peitsche über sich, und kehrte umgehend mit einem Bündel Stoff zurück, welches er Alika zuwarf.
    »Anziehen«, schnauzte er sie an.
    Alika schüttelte die Kleidungsstücke aus und starrte verständnislos auf das fast bodenlange Hemd und den nur wenig kürzeren Überwurf. Da der Stock des Bediensteten schon erwartungsfroh in dessen Hand zitterte, griff Marie ein und half ihrer Freundin in die fremde Tracht.
    Unterdessen zwangen die Knechte die Sklaven, sich in Reih und Glied aufzustellen, so dass der Kaufmann jeden einzelnen mustern konnte. Schließlich nickte der Mann zufrieden, sagte etwas, das Marie für sich mit »Bringt sie zum Markt!« übersetzte, und verließ den Schuppen. Der Bedienstete gab den Knechten einige Befehle und diese trieben die lebende Ware Reihe für Reihe hinaus. Dabei sparten sie nicht mit Hieben, die allerdings keine blutigen Male hinterließen. Draußen mussten die Sklaven dem Vertrauten des Händlers im Gänsemarsch folgen und wurden dabei von den Knechten flankiert. Ihr Weg führte sie durch ein von zwei wuchtigen Rundtürmen bewachtes Tor ins Innere der Stadt. Auch hier bestanden die meisten Häuser aus Holz, und der Durchgang zwischen den einzelnen Häuserreihen war soschmal, dass sich die Fußgänger gegen die Wände drängen mussten, wenn ein Karren oder ein Lastträger passieren wollte.
    Die Gasse mündete in einen großen Platz, der auf der gegenüberliegenden Seite von einer weiß gekalkten Kirche mit runden, gemauerten Türmen begrenzt wurde, deren kupferne Kuppeldächer mit Grünspan überzogen waren. Auf der recht großen Fläche zwischen den Gebäuden herrschte lebhaftes Treiben, denn es wurde gerade Markt abgehalten. Es gab Dutzende von Ständen, um die sich Kaufinteressenten und Schaulustige drängten, die die Fülle der ausgestellten Waren ebenso wortreich kommentierten wie die Sklaven, die nun durch ein dichtes Spalier getrieben wurden. Direkt vor der Kirche befand sich ein großes, etwa kniehohes Podest, welches jenen glich, auf denen die Sklaven in den Häfen von Riga und Reval feilgeboten worden waren. Bei seinem Anblick wäre Marie am liebsten in den Boden versunken, doch angesichts etlicher Männer, die versuchten, die älteren Mädchen zu begrapschen, war sie beinahe froh, dort oben einen gewissen Abstand zwischen sich und den Zuschauern gewinnen zu können. Als sie und die anderen Sklaven hinaufgetrieben worden waren, rief ein Mann der zusammenströmenden Menge etwas in einer Sprache zu, die Marie bisher noch nie vernommen hatte.

VIII.
     
    A n diesem Morgen hatte sich eine Gruppe Edelleute zum Frühstück im größten Raum ihres nicht besonders gastfreundlichen Quartiers versammelt, das in einem ebenso schäbigen Winkel des Pskower Kremls lag und noch die Spuren des gestrigen Saufgelages zeigte. Schon bei den ersten Bissen musste Andrej Grigorijewitsch feststellen, dass es mit der Laune seines Fürsten nicht zum Besten stand. Das wunderte ihn nicht, denn er hätte sich an Dimitris Stelle vermutlich ebenfalls vor Wut zerfressen.Immerhin war sein Anführer der Herr von Worosansk, der keinem anderen Gebieter unterstand, und zudem ein entfernter Verwandter des Moskauer Großfürsten Wassili II. Hier in diesem verdammten Krämerdorf Pskow aber wurden er und sein Gefolge nicht wie hoch geehrte Gäste behandelt, sondern ähnlich herablassend wie jene Bauern, die ihre Erzeugnisse in die Stadt brachten und dabei die Waren aus aller Herren Länder bestaunten, ohne sich auch nur ein einziges Stück der angebotenen Fülle leisten zu können.
    Dabei hätte es den Notabeln von Pskow besser angestanden, Dimitris Stolz ein wenig zu schmeicheln und ihn mit Geschenken zu versöhnen. Diese Krämer missachteten ihn jedoch in verletzender Weise und forderten immer wieder das Geld für jene Waren, die Dimitri im letzten Jahr erworben, aber noch nicht bezahlt hatte. Selbst der Fürst von Pskow benahm sich alles andere als diplomatisch. Dabei war er nicht mehr als ein von den Pskower Oligarchen eingesetzter Heerführer, der nach den Flöten feister Kaufleute tanzen musste. Dennoch hatte er die Stirn besessen, Dimitri und seine engere Begleitung nur zu einem

Weitere Kostenlose Bücher