Das Vermaechtnis des Caravaggio
schweren Holztür inne.
„Ich werde Euch zu ihm
hineinlassen, wie es das Dekret vorschreibt, und schließe hinter Euch ab. Wenn
Ihr wieder zurück wollt, schlagt gegen die Tür.“ Mit einem frivolen Blick auf
ihren Bauch fügte er hinzu: „Ihr habt nicht länger als zwei Glockenschläge
Zeit.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten,
entriegelte er das Schloss und schob sie ins Dunkel des Verlieses. Hinter ihr
schlug die Tür zu.
Zuerst sah Nerina nichts. Dann
endlich hörte sie ein Klirren wie von Ketten und das Schlurfen von Füßen auf
feuchtem Boden. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das spärliche Licht,
von dem sie nicht sagen konnte, woher es kam.
„Michele? Bist du hier, Michele?“
“Nerina?“
Das Wort hauchte nur an ihr Ohr.
„Michele! Wo bist du?“
Aus der Schwärze der Zelle schälte
sich eine noch dunklere Gestalt, die auf sie zukam. Wieder klirrten
Metallketten. Langsam öffneten sich ihre Augen und sie erkannte Schemen und
Dinge. Mitten im Raum stand Michele, ein Bein mit einer Kette an eine der
Mauern geschmiedet. Sein Haar reichte ihm bis über die Schultern. Es war verfilzt
und verdreckt. Seine Kleidung hing ihm in Fetzen am Körper. Sein ungewaschenes
Gesicht stach kaum vom rußigen Schwarz der Wände ab. Gebeugt und gebrochen
stand er vor ihr, das Licht in seinen Augen erloschen. Zurückgeblieben war ein
stumpfes Glimmen, das der beginnende Wahnsinn in seinen Gesichtsausdruck
gegraben hatte.
„Mein Gott!“, entfuhr es ihr. Michele
hob den Kopf, als hätte er Worte gehört, die von weither zu ihm drangen.
Umständlich ließ er sich auf den
Boden nieder und klopfte vor sich hin, ohne sie direkt anzusehen, so als wäre
er erblindet.
„Setz dich. Willkommen in meinem
bescheidenen Heim!“
Am Boden lag aufgeschüttetes Stroh,
das einen fauligen Geruch verströmte, in einer anderen Ecke standen zwei Eimer,
einer vermutlich für die Notdurft, der andere für Wasser und Essen. Von der
Decke tropfte Feuchtigkeit in regelmäßigen Abständen, die den Kerker mit einer
trübseligen Melodie erfüllte.
„Ich dachte, du würdest anständig
behandelt!“
Michele lachte rau und machte eine
einladende Bewegung. Jetzt erst sah er sie an.
„Im Gegensatz zu anderen Löchern
hier, ist der Raum geradezu fürstlich. Was tust du hier?“
Nerina legte einen Finger an den
Mund und schlich zur Tür. Sie drückte das Ohr dagegen und lauschte auf den Gang
hinaus. Aber der Beschließer und ihr Begleiter schienen sich tatsächlich
entfernt zu haben. Leise hörte sie beide in dem Wachlokal miteinander sprechen.
„Ich habe nicht viel Zeit, Michele.
Hör mir zu!“
Sie begann ihm, ihren und Pater
Leonardus’ Plan auseinanderzulegen, während sie sich gleichzeitig entkleidete.
Sie hob ihr schwarzes Gewand über den Kopf. Darunter kam das Seil zum
Vorschein, das sie sich umgebunden hatte. Rasch wickelte sie es ab, bat
Michele, die Metallstange auf ihrem Rücken zu halten und half ihm, Seil und
Stange unter der Strohschütte zu verstecken. Danach zog sie das Kleid wieder
über.
„Wenn ich das Verlies hier
verlasse, wird die Tür nicht richtig abgesperrt werden. Sobald es dunkelt, musst
du den Gang hinauf, und den nächsten rechts. Die Schießscharte lässt dich
hindurch. Befestige das Seil an der Stange und klemme sie zwischen die
Mauerlücke. Du musst das Seil asymmetrisch befestigen, damit du es lösen
kannst, wenn du unten angekommen bist. Lass dann das Seil locker, die Stange
wird herabfallen, sich aber nicht wieder verkeilen. Dann kannst du Seil und
Stange ganz herausziehen, und niemand wird wissen, wie du das Gefängnis hier
verlassen hast.“
Wieder lachte Michele bitter auf.
Dann hielt er ihr die Hände entgegen. Dunkel hoben sich die entzündeten Hand-
und Fußgelenke unter den Kettenschellen von der übrigen Haut ab.
„Ich komme nicht einmal bis zur
Tür. Die Schellen sind mit Nieten befestigt.“
Nerina biss sich auf die Lippen,
als sie die aufgescheuerten Wunden sah. Aus einer Tasche des weitläufigen
Gewandes holte sie eine Feile.
„Du hast zu tun bis heute Abend.
Der Schmied versicherte uns, dass es zu schaffen sei.“
„Nerina!“ Michele hielt ihren Arm
fest. „Warum tust du das?“
Sie sahen sich für einen Moment in
die Augen. Micheles Pupillen wirkten schwarz, das Weiße der Augäpfel war rot
entzündet.
„Vielleicht will ich, dass du malst
und nicht hier verrottest wie faules Holz.“
Michele schlug beide Hände übers
Gesicht und stotterte, als er
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