Das Vermaechtnis des Caravaggio
Anstrichs verschwamm mit dem
Dunkelblau des Meeres. Evangelos Anomeritis hockte am Ruder und steuerte ihr
Boot trotz des eben erst anbrechenden Tages sicher aus dem Hafen. Hell
knatterte das Segel. Der Wind stand seewärts und wehte günstig. Gegen Abend
würden sie in Syrakus einlaufen, wenn der Herrgott ihnen zugetan war. Als sie
über die Schulter zurückblickte, bemerkte sie, wie sich eben ein Kahn, dem
ihren ähnlich, aus der Dunkelheit des Felsschattens schälte, die Meerenge von
La Valletta aus überquerte und auf die Festung Sant’Angelo zuhielt. Sie wusste,
dass nur eine Person so früh auf den Beinen sein konnte. In diesem Fahrzeug saß
Pater Leonardus.
Michele lag zu ihren Füßen, mit
einem leichten braunen Leinensack bedeckt, damit zufällige Beobachter nur zwei
Personen im Boot erkennen konnten. Seine Hände bluteten.
„Warum, Michele? Was wolltest du
auf Malta?“
Sein Gesicht lag frei unter der Pritsche,
es schimmerte grau und matt. Wie blutleer wirkten die Lippen, Hautfetzen
sprangen davon ab. Er zitterte immer noch vor Anstrengung. Langsam holt ihn das
Alter ein, dachte sich Nerina. Scharfe Falten liefen ihm vom Kinn hinauf über
die Wangen. Die Augen lagen tief eingesunken in schwarzen Höhlen, als
verweigerten sie sich dem Tageslicht. Er hielt sie geschlossen und atmete
stoßweise.
„Ich glaubte, ein Kodex verbietet
den Johannitern, ihre eigenen Brüder zu verfolgen und zu töten. Ich wollte ihn,
den Johanniter, mit seinen eigenen Waffen schlagen.“ Er antwortete beinahe
unhörbar. Einzelne Silben verschluckte das Schlagen des Wassers an die
Bordwand. Nerina musste sich zu ihm herabbeugen, um ihn zu verstehen.
„Du bist einem Traum nachgelaufen,
Michele! Warum jagt er dich? Sag es mir!“
Schweigen trat zwischen sie,
greifbar und dicht. Er wollte und wollte nicht reden.
„Verfolgen sie uns?“
„Nein, Michele. Pater Leonardus hat
noch nicht einmal bemerkt, dass wir ihn hinters Licht geführt haben. Im
Augenblick nähert er sich der Festung. Dass wir beinahe eine Stunde früher dort
gewesen sind, um auf dich zu warten, weiß er nicht. Glaubst du noch immer, dass
er dir eine Falle stellen wollte? Schmerzen die Hände?“
Michele drehte die Handflächen hin
und her. Das Fleisch der Innenflächen war vom Hanfseil verbrannt. Noch immer,
wenn sie die Augen schloss, sah sie die Szene vor sich, wie er sich die letzten
Meter nicht mehr hatte halten können und gerutscht war, ohne das Seil
loszulassen, hörte sie ihren Schrei, weil sie glaubte, er würde zu Tode
stürzen. Dabei hatte die Reibungshitze nur seine Hände versengt und das raue
Seil die Innenflächen zerrissen. Für sie war es ohnehin ein Wunder gewesen, dass
er sich in seinem körperlichen Zustand allein hatte abseilen können. Das Seil
und die Stange holen und ins Boot steigen waren eines gewesen. Evangelos
Anomeritis hatte sich nach einigem Überreden dazu bereit erklärt, sie nach
Syrakus auf Sizilien zu bringen. Für einen schnellen, wendigen Kahn, wie den
seinen, dauerte die Überfahrt bei günstigem Wind kaum mehr als zwölf Stunden.
Während Nerina noch darüber
nachdachte, ob es richtig gewesen war, Micheles Rat anzunehmen und die Hilfe
des Paters auszuschlagen und ihn so zu hintergehen, verschwand La Valletta
hinter dem Wasserhorizont. Nur ein Hornsignal tönte, vom Wind getragen, zu
ihnen herüber. Michele schlug kurz die Augen auf.
„Hörst du? Das sind die Signalhörer
der Wärter. Ich hab‘s gewusst. Er hätte uns verraten. In diesem Augenblick wäre
ich die Mauer hinabgeklettert. Schon morgen hätte ich den Kopf auf den
Richtblock gelegt. Niemand verlässt ohne Passierschein des Großmeisters
ungestraft die Insel.“
Wieder heulte das Horn auf. Wenn
sie die Zeit verglich, die verstrichen sein musste, seit sie den Kahn des
Paters gesehen hatte, musste sie Michele recht geben. Pater Leonardus hatte sie
verraten! Für Nerina ein unfassbarer Umstand, schließlich hätte hier der Bruder
den Bruder ans Messer geliefert.
„Sie werden nach mir suchen
lassen.“
„Wir haben Evangelos’ Frau und die
Kinder auf die andere Seite der Insel gebracht. Zu Verwandten. Ihnen wird
nichts geschehen. Und wir sind außer Sichtweite. Bald sind wir nicht einmal
mehr mit dem neuen Glas zu sehen, das man ans Auge halten und mit dem man in
die Ferne blicken kann.“
„Es ging alles zu einfach!“, flüsterte
Michele. „Wo ist der Haken? Wo?“
Für eine Antwort schien Michele zu
müde. Bis auf die Knochen abgemagert, war er zu
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