Das Vermaechtnis des Caravaggio
Madonnen befürworten ihr irdisches
Leben. Sie können sich von ihrem Leib nicht lösen, ihm die letzten Dinge
überantworten. Es fehlt ihnen jegliche Transzendenz. Wir, als Wahrer des
Glaubens, auch gegen die neuen Strömungen der Protestanten, verteidigen das
Reich des Geistes. In diesem Sinne ist er ein Ketzer. Er entzieht die Gläubigen
unserem Einfluss. Caravaggios Bilder vernichten die Heiligen, statt sie den
Gläubigen als Vorbild vor Augen zu führen. Allein deshalb kann und darf ich ihn
nicht nach Rom zurückkehren lassen!“
Schwer atmend setzte sich Paul V. Scipione
Borghese lauschte seinen Worten im Echo nach, das sich zwischen den mehrgeschossigen
Gebäudeflügeln brach. Sein Oheim klang wenig überzeugend, die Argumente wirkten
verstaubt und aus dem letzten Jahrhundert herübergerettet. Längst war die Zeit
über diese Bedenken hinweggegangen, in Rom allemal.
„Dafür seid Ihr doch recht
skrupellos gegen Caravaggio vorgegangen. Ich erinnere Euch nur an das
Schurkenstück auf dem Campo Marzio. Dass dabei der Falsche den Tod fand, ist
bedauerlich. Was glaubt Ihr, Eure Heiligkeit, wenn Rom erfährt, wer den Befehl
...“
„Schweigt!“, fuhr sein Oheim Del
Monte über den Mund, der satt und behäbig in seinem Stuhl saß, die Arme auf die
Lehnen gestützt und die Augenlider halb geschlossen.
Scipione Borghese hielt den Atem
an. Sein Blick wanderte zwischen den drei Männern hin und her. Ferdinando
Gonzaga grinste Scipione Borghese breit an, was dieser mit Kopfschütteln und
einem etwas schiefen Lächeln erwiderte. Was er eben gehört hatte, glich einer
Kriegserklärung. Seine Zweifel Del Monte gegenüber waren über Bord gespült. So
sprach niemand, der sich nicht auf ihrer Seite befand. Diese offenen Worte
brauchten Schutz. Bislang hatte er Ferdinando Gonzaga für einen Taktiker und
Diplomaten gehalten, jetzt wich dieses Gefühl der Verachtung für diesen
Emporkömmling. Warum hatte er dem Kardinal sein Wissen weitergegeben? Damit er
an seiner Stelle den Kampf eröffnete?
Del Monte für seine Ideen
eingespannt zu haben, zeugte von keiner klugen Taktik, denn der Kardinal hatte
sich in den letzten Jahren als zu gerissen erwiesen, als dass er sich an
Projekten beteiligte, die für ihn keinen Gewinn abwarfen. Lieber hielt er sich
heraus. Dass der junge Gonzaga Kardinal Del Monte so ohne Zögern mit dem Wissen
über den Vorfall auf dem Campo Marzio auf seine Seite ziehen konnte,
beunruhigte ihn. Musste er darauf achten, dass dieser Heißsporn nicht übers
Ziel hinausschoss? Letzte Woche hatte ihm Julia zugetragen, dass Enrico, der
Sekretär Ferdinando Gonzagas, wieder in Rom weilte, und dass sie eine ganze
Nacht hindurch zusammengesessen und Pläne geschmiedet hatten. Offenbar hatte
die Fahrt nach Mailand Erfolge gezeitigt. Trotzdem galt Del Monte als schwierig
und verschroben.
Sein Oheim saß wie erstarrt in
seinem Stuhl und hielt krampfhaft die Lehnen umklammert. Was er nicht
gebrauchen konnte, das wusste Scipione Borghese, war eine Schwächung der
Position des Papstes. Die Verhandlungen mit Venedig zogen sich hin. Der Doge
Marino Grimani hatte ein Gesetz erlassen, nach dem kirchlicher Grundbesitz, der
einige Zeit an Laien verpachtet worden war, nicht wieder an den Eigentümer
zurückfallen dürfe, und weitere, die Kirche gängelnde und geißelnde
Verordnungen waren diesem gefolgt. Ein Affront gegen die Kurie. Dem Protest
seines Oheims im Namen des Vatikans folgten Verbot und Ausweisung aller
Theatiner, Kapuziner und Jesuiten aus Venezien. Schwere kriegerische
Verwicklungen drohten.
Auch Spanien und Frankreich
gesellten sich wieder an die Seite des Papstes. Auch jenseits der Alpen, im
fernen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, spitzten sich die Ereignisse
zu. Die neugläubigen, protestantischen Reichsstände hatten sich zur Union
zusammengeschlossen, geleitet vom Calvinisten auf dem Kurfürstenthron,
Friedrich V. von der Pfalz. Konsequent führte dies bei seinen Gegnern zur
Bildung einer katholischen Liga unter Führung des Herzogs Maximilian von Bayern
mithilfe spanischer Gelder und spanischer Unterstützung. Nun drohte auch im
Norden Krieg zwischen den verfeindeten Gruppen.
Und hier in Rom störte sein Oheim
die Harmonie, indem er den Petersdom um- und ausbaute, wobei er die Reste der
alten, konstantinischen Peterskirche niederlegen ließ, um dem von Michelangelo
konzipierten Zentralbau durch den Architekten Carlo Maderno ein Langschiff
vorzulagern.
In einer solchen Situation konnte
der
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