Das Vermaechtnis des Caravaggio
gewusst, dass es sein
letztes war, vielleicht hatte ihn eine Vorahnung beschlichen, die sich in der
schwärzlichen Bräune der Heiligenkleidung widerspiegelte.
Ein unbestimmter Luftzug im Raum
irritierte Enrico. Hinter sich fühlte er plötzlich eine rasche Bewegung. Bevor
er sich jedoch umdrehen konnte, traf ihn ein Stich in die Niere und er hielt in
der Bewegung inne.
„Warum schleicht Ihr Euch hier ein
wie ein Dieb?“, flüsterte es hinter ihm.
Langsam hob Enrico die Hände.
Direkt in Höhe seiner rechte Niere bohrte sich die Klinge eines Stiletts in die
Haut, so fest, dass er sich nicht zu rühren wagte, aus Furcht, der Angreifer
könnte nervös werden und richtig zustechen.
„Ich komme als Freund.“ Die Person
hinter ihm lachte nervös und drückte ihm die Spitze tiefer ins Fleisch. Enrico
stöhnte, dennoch presste er eine Frage über seine Lippen: „Wer seid Ihr?“
„Sagt mir zuerst, wer Ihr seid und
ob Ihr hier ins Atelier allein heraufgekommen seid.“
„Ich bin der Sekretarius des
Kardinals Gonzaga, Enrico ...“
Ein gedämpfter Schrei unterbrach
seine Vorstellung. Enrico glaubte schon, einen Fehler begangen zu haben, und
verwünschte seine Ehrlichkeit, als ihn die Person am Arm packte und beinahe vom
Malerstuhl riss. Sofort ließ der Schmerz nach. Als er den Blick hob und ins
Gesicht des Angreifers sah, glaubte er zu träumen. Vor ihm stand Nerina, als
Mann verkleidet, einen modernen Hut auf dem Kopf und ein Stilett in der Hand.
Lange Augenblicke standen sie sich
stumm gegenüber und musterten sich gegenseitig.
„Nerina!“ Enrico fasste sich
zuerst. „Ich dachte schon, ich komme zu spät!“
Nerinas Lächeln geriet etwas
schief. Sie presste die Lippen aufeinander.
„Ich dachte, ich sehe dich nie
wieder.“
Enrico streckte eine Hand aus und
berührte ihre Wange. Langsam, als streichle er die Blätter einer Rose, fuhr er
darüber. Zuerst zitterten Nerinas Augenlider, dann die Lippen, und schließlich
traten beide einen Schritt nach vorne, und schon lag Nerina in Enricos Armen.
Er fühlte die Wärme und Weichheit ihres Körpers, der plötzlich zu zittern
begann, als könne er die Erregung des Wiedersehens nicht bewältigen. Mit einer
eher hilflosen Geste drückte Enrico Nerinas Kopf an seine Brust und streichelte
ihr übers Haar. Dann stiegen auch ihm Tränen in die Augen, und er musste die
Lippen aufeinanderpressen, damit er nicht laut aufschluchzte. So standen sie,
und Enrico wagte es nicht, Nerina loszulassen, aus Furcht, sie sofort wieder zu
verlieren.
„Gott sei Dank habt Ihr das Schiff
noch nicht bestiegen. Gott sei Dank, Nerina!“ Zuerst löste sich Enrico aus der
Umarmung. Er hielt Nerina mit beiden Händen an der Schulter. Besorgt fragte er:
„Wo ist Michele?“
„Wir haben ein Schiff gefunden, das
uns nach Neapel bringen wird, die Diana. Es ist das einzige, das in den
nächsten Monaten dorthin ausläuft. Er ist bereits auf dem Schiff!“
„Gütiger Himmel, Nerina. Dann ist
er verloren. Es liegt nicht mehr im Hafen!“
Nerina, die seine besorgte Miene
offenbar nicht recht einschätzen konnte, versuchte, ihn zu beruhigen.
„Es ist nach Cefalù unterwegs, um
Kalksteinblöcke zu laden. In Cefalù schlägt man den Kalkstein, der poliert
glänzt wie kostbarer Marmor. Dann kehrt es zurück. Spätestens morgen wird es
bereits wieder im Hafen schwimmen. Michele hat das Schiff nur begleitet, um die
Steinbrüche und den Kalkstein zu sehen.“
Missmutig schüttelte Enrico den
Kopf. Dann nahm er Nerina an die Hand und zog sie hinunter auf den Boden, wo
sie sich neben ihn setzte. Eindringlich begann Enrico von der Mattanza zu
erzählen, vom Thunfischfang, und ihrem Zusammenhang mit Micheles Flucht, und
mit jedem Wort, das er sagte, erbleichte Nerina weiter.
„Wenn der Teufel es will, dann
schaukelt Michele in diesem Boot bereits Malta entgegen.“
Für eine ganze Zeit war es still im
Raum. Nur ihr beider Atem war zu hören. Enrico dachte darüber nach, was in
Nerina vorgehen mochte, die Michele bis hierher gefolgt war und jetzt
feststellen musste, dass all ihre Bemühungen umsonst gewesen waren und das
Unglück den Maler eingeholt hatte. Sanft legte er den Arm um sie, und er fühlte
an ihrem Nachgeben, dass sie jetzt seine Nähe brauchte, dass sie sich anlehnen
wollte. Im Augenblick konnten sie nichts weiter tun, als warten und hoffen.
Plötzlich legte Nerina sich mit dem
Kopf auf seinen Schoß, das Gesicht ihm zugewandt, und sah ihn von unten an.
Ernst und düster war ihre
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