Das Vermaechtnis des Caravaggio
musterte er die Umgebung, aber er konnte nichts Verdächtiges
erkennen. Alles blieb ruhig, was immer das Geräusch auch verursacht haben mochte.
Je näher er der Mole und damit dem
Schiff kam, desto nervöser wurde er.
Die Kapuze verdeckte ihm zwar einen
Teil des Gesichtskreises, aber an dessen Rand konnte er erkennen, wie eine
dunkel gekleidete Gestalt eines der Ruderboote gegenüber der Diana bestieg und
vom Ufer abstieß. Jetzt hieß es abwarten, bis die Glocke der Chiesa Santa Maria
della Catena zur fünften Morgenstunde schlug.
Aus nächster Nähe konnte man
erkennen, dass das Schiff merkwürdig genug aussah. Zwar hatte es nicht die
schnittige und wendige Form der Galeeren, aber auch die Diana konnte mit
wenigen Handgriffen zu einem Boot mit Ruderern umgebaut werden. Jetzt lag es,
vermutlich wegen der schweren Fracht in ihrem Laderaum, tief im Wasser. Kaum dass
es sich in der leichten Dünung des Hafens bewegte. Satt und träge wirkte es,
wie der Wal, der gerade Jona verschluckt hatte und sich nun daran machte, den
Happen zu verdauen.
Enrico fühlte, wie seine
Handinnenflächen feucht wurden, wie seine Stimme sich belegte, obwohl er noch
kein Wort gesagt hatte. Unruhig sah er zur Kirche hinüber und hoffte nur, dass
es kein schlechtes Vorzeichen bedeutete, wenn man sich auf die Uhr einer Kirche
verließ, die ihren Namen nach der Kette erhalten hatte, mit der Palermos Hafen
verschlossen werden konnte. In diesem Moment nahm ihm der Stundenschlag die
Zeit zum Nachdenken. Er bewegte sich schneller und betrat die Anlegestelle.
Jeden Augenblick konnte er angesprochen und nach seinem Begehr gefragt werden.
Mindestens hundertmal hatte er sich seine Antwort zurechtgelegt und innerlich
vorgesprochen, und doch wurde er überrascht, als ihn die Wache anbellte, als er
noch nicht einmal den Fuß auf die Planke gesetzt hatte, die zur Diana hinüber
führte.
„Was wollt Ihr, Bruder?“
Umständlich räusperte sich Enrico,
schob seine Kapuze zurück, sodass der Wachhabende sein Gesicht sehen konnte,
das er misstrauisch musterte. Leicht deutete er eine Verbeugung an, die Selbstbewusstsein
ausstrahlen sollte. Allerdings beschlich ihn das untrügliche Gefühl, dass ihm
gerade das gründlich misslang, denn er blieb mit der Sohle seines Schuhs an
einem Holzdorn hängen und stolperte über die Planke aufs Schiff. Sofort
richtete sich aller Augen auf ihn und seine Tollpatschigkeit.
„Verzeiht, aber ich stehe in
Diensten der Compagnia di San Francesco d’Assisi.“
Unwirsch unterbrach ihn die Wache.
„Was geht das mich an, welcher
Gesellschaft Ihr Euch zugehörig fühlt? Jetzt verlasst das Schiff!“
Mit einem energischen Schritt trat
Enrico auf den Wachhabenden zu, der zurückwich. Das hatte er nicht erwartet. Sofort
fuhr dessen Hand nach einem Dolch, den er unter der Kleidung versteckte.
Offenbar wagten es die verkleideten Johanniter nicht, die Degen sichtbar zu
tragen, denn das hätte auffallen müssen. Matrosen in Waffen hätten den
örtlichen Vogt alarmiert.
„Ich suche den Maler, den alle
Caravaggio nennen.“ Enrico sprach betont langsam und mischte in seine Wörter
den Akzent, der in Caravaggio gesprochen wurde und dessen Entschlüsselung die
ganze Aufmerksamkeit der Wache beanspruchte. „Er hat für das Oratorium des
Heiligen Laurentius ein Bild angefertigt, das allerdings der Meinung unseres ehrwürdigen
Bruders Damiano nach unvollständig ist. Ich soll, so mein Auftrag, Michelangelo
Merisi, genannt Caravaggio, in den Palast des Kardinalerzbischofs Doria
bringen. Dorthin hat man das Gemälde gebracht. Caravaggio wird gebeten, den
unfertigen Charakter des Gemäldes etwas zu mildern.“
Ohne ein Zittern in der Stimme
hatte er sein Begehr vorgetragen. Jetzt entschied sich, ob der Plan gelang. Der
Johanniter trat von einem Bein auf das andere. Deutlich sah man ihm das
Unwohlsein an. Enrico ahnte, was der Mann vor ihm dachte. Befolgte er den
strikten Plan seines Herrn, des Großmeisters von Malta, der wiederum mit
Einverständnis des Papstes handelte, dann durfte Caravaggio das Schiff nicht
mehr verlassen. Gleichzeitig durfte jedoch der Kardinalerzbischof von Palermo
nicht verärgert werden, schließlich wurde in dessen Räumlichkeiten das Bild
ausgestellt, und die Selbstständigkeitsbestrebungen der Sizilianer verursachten
zudem Ärger genug, was sich auf die guten Beziehungen zwischen Palermo und
Malta auswirkte. Gab man nach, konnte es sein, dass der Maler floh, was
wiederum zu Verwicklungen mit dem Papst
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