Das Vermaechtnis des Caravaggio
seinen Bruder zu und erwischte ihn so am Kragen, dass der Pater nach
hinten umstürzte. Körperlich unterlegen, ruderte dieser mit den Armen, zu
hilflos, um sich gegen Micheles Versuche, ihn zu erwürgen, wehren zu können,
und begann bald nach Luft zu ringen. Obwohl Nerina nicht in die
Auseinandersetzung eingreifen wollte, musste sie verhindern, dass hier Kain
seinen Bruder Abel erschlug. Mit einem Wink bat sie Enrico einzugreifen, der
zwischen sie trat und die beiden Streithähne voneinander trennte. Schwer atmend
und rot im Gesicht ließ sich Michele nur mit Gewalt von Pater Leonardus
wegzerren, gab aber Enricos Bemühungen schließlich nach. Mit dem Rücken setzte
sich Pater Leonardus gegen den Mast, zog den Kragen seiner Soutane auf und
schnappte nach Luft.
„Du elender Bastard hättest mich
beinahe erdrosselt.“
Er keuchte und würgte dabei und
fuhr sich mit der Hand immer wieder um den Hals, als müsse er sich davon
überzeugen, dass die Kehle noch dort war, wo sie hingehörte.
„Leider bin ich daran gehindert
worden!“, knurrte Michele, der sich von Enrico losriss und wieder zu seiner
Liege zurückkehrte.
„Hättet Ihr mich getötet“, flötete
Pater Leonardus mit ausgesuchter Höflichkeit, aber sarkastischem Unterton,
„dann wäre dieses liebliche Geschöpf, das Ihr, Michele, wie eine Tochter
aufzieht, allein durch die Welt gestreift. Das konntet Ihr nicht ernsthaft
wollen!“
Sofort zuckten Micheles Hände
wieder, wie Nerina bemerkte. Ihr entging auch nicht der Unterton, der in Pater
Leonardus’ Stimme lag, als würde er über ein Wissen verfügen, das er nur mit
Michele teilte. Eine Anspielung genügt, dachte sie sich, und Michele geriet in
Zorn. Aber worin bestand die Anspielung? Was trieb Michele so die Zornesadern
auf der Stirn auf, dass er sogar zu schwitzen begann?
„Da wir nun gemeinsam die Reise
nach Neapel machen, sagt, was wisst Ihr über Micheles Dispens? Ist er
unterwegs?“
Pater Leonardus zuckte bei Enricos
Frage mit den Schultern. Ganz verstand Nerina nicht, warum Enrico danach
fragte. War es nicht unwichtig geworden, nachdem sie von einer Falle in die
nächste getappt waren? Oder verfolgte er einen Plan? Und konnte man Plänen,
konnte sie Plänen noch trauen?
„Wozu einen Dispens? Er wird in den
Verliesen Sant’Angelos’ verrotten.“
„Vorausgesetzt, es gelingt Euch,
Michele nach Malta zu schaffen!“
„Das ist nicht mein Problem. Fra
Domenico wird Neapel vor uns erreicht haben. Und spätestens dann, glaube ich, dass
dieses Problem der Vergangenheit angehört.“
In Nerina stieg Angst auf, Angst
darüber, was geschehen würde. Nach Rom zu steuern, verbot die Vernunft. In
Neapel erwartete sie Fra Domenico, allgegenwärtig und bedrohlich, im Namen der
Johanniter, um Micheles Fluchtfrevel von der Insel Malta zu ahnden und seiner
eigenen Rache zu genügen. Nach Palermo zurück konnten sie nicht mehr, da dort
vermutlich Galeeren der Johanniter sie erwartet hätten. Tränen der Wut und der
Hilflosigkeit stiegen in ihr auf. Alles schien so sinnlos, so ohne Ziel und
Ordnung. Sie biss sich in die Fingerknöchel, um nicht loszuheulen.
Plötzlich ertönte Micheles Stimme,
der dem Gespräch bislang stumm gefolgt war.
„Wisst Ihr eigentlich, dass Ihr um
mich schachert wie die Hausherrin um die geschlachteten und gerupften Hühner
auf dem Markt? Noch liegt das Mare Tyrrhenum zwischen uns und den maltesischen
Galeeren – und das ist tief und stumm, Bruder. Wer mir ans Leder will, den
werden die Jahrhunderte verfluchen! Meine Bilder überdauern alle Eure
schafsköpfigen Rechnungen und Intrigen. Und jetzt lasst mich schlafen!“
Enrico zog Nerina am Arm außer
Hörweite des Paters. Sie wunderte sich über die Heimlichkeit und wollte ihm
bereits andeuten, dass sie Berührungen wie eben nicht mochte, aber er beugte
sich zu ihr hinunter und flüsterte.
„Pater Leonardus wacht darüber, dass
Michele den Dispens nicht erhält. Wenn die Nachrichten stimmen, die ich
erhalten habe, dann muss dieser unterwegs sein, denn nur wenn der Papst Michele
in Gewahrsam der Johanniter weiß, kann er so seine Hände in Unschuld waschen.
Micheles Entführung ist schiefgelaufen, was Paul V. nicht weiß – und dennoch
dürfte der Dispens bereits ausgefertigt sein. Wenn er Michele erreicht, bevor
dieser in die Hände der Johanniter fällt, dann ist er frei. Wir müssen ihn
unter allen Umständen an Land bringen – und ich weiß auch schon wie.“
Wieder fuhr ein Windstoß durch
Nerinas Haar. Neben
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