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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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er zuvor Pigmente
und Bilderrahmen durch den Raum geworfen hatte. An seinem Schreibtisch, der
zugleich Bett und Palette für die Farben war, saß Enrico und kritzelte seine
Antwort auf einen Bogen Pergament und warf ihr einen beruhigenden Blick zu. Im
Hintergrund, in der Atelierecke, stand das Modell für sein neuestes Werk,
daneben mehrere abgedeckte Gemälde, die trocknen mussten. „Dieser Borghese ist
schlimmer als eine Natter, Enrico! Schreibt ihm, schreibt ihm: Ich,
Michelangelo Merisi, nach meiner Heimatstadt Caravaggio benannt, erkläre
hiermit, dass ich, bei bester Gesundheit und im Vollbesitz meiner Kräfte, Eurer
Eminenz, Kardinal Scipione Borghese, ein Bild überreiche, das die Kurie in Rom
in ihren Grundmauern erschüttern soll. Es wird Anklage und Mahnung für jeden,
der es betrachtet. – Zu milde Enrico, ich bin zu milde mit diesem raffgierigen,
skrupellosen Kunst ... Kunst ... Kunstgeier! Ja, das ist der richtige Ausdruck
für diesen Menschen: Kunstgeier. Wie dieser hockt er in sicherer Entfernung und
wartet darauf, dass ich krepiere, damit er sich meine besten Stücke
einverleiben kann.“
    „Ihr trefft den richtigen Ton. Ganz
den richtigen!“
    „Glaubt Ihr? Alles schal und
abgeschmackt.“
    Mit zerrauften Haaren und in seinem
halb zerrissenen, vom Blut noch dunkel verfärbten Wams, jagte er von einer Ecke
des Raumes zur anderen.
    So war es Nerina lieber, als die
endlosen Stunden an seinem Krankenbett, das er nur mit viel Zureden und sanfter
Gewalt hütete. Zwei Säbelhiebe waren ihm mitten durchs Gesicht gefahren, hatten
Nase, Wange und Stirn zerschlitzt. Die Narben klafften. Er war nicht
wiederzuerkennen. Wäre er seinem Bruder auf der Straße begegnet, er hätte ihn
verleugnet. Einen weißen Turban hatte er als Verband um sein verstümmeltes
Gesicht gewunden. Dennoch hatte er sich den Winter über täglich an seine
Staffelei gesetzt, hatte seinen Wein getrunken und sich jeden Abend eine Hure
aufs Zimmer bestellt. Geld spielte keine Rolle mehr. Bezahlt wurde er von den
Honoratioren der Stadt, und Michele malte, als hätte er nicht noch ein ganzes
Leben vor sich. Jetzt arbeitete er mit einer Wut an einem Bild, das sie
erschreckte und das auch Enrico mit einem gewissen Misstrauen betrachtete:
David mit dem Haupt des Goliath.
    Der Junge, der im Atelier auf einer
Holzkiste stand, das Schwert in der rechten und ein Gipsmodell für den Kopf in
der linken Hand, wirkte blass und müde, doch allein Micheles Blick scheuchte
ihn zurück in seine Ausgangshaltung. Für Nerina neu war die Tatsache, dass die
Gesichter auf dem Bild keine direkten Porträtbilder waren, sondern stark vom
Original, das ja vor ihnen stand, abwichen. Nur das Antlitz Goliaths, des
Besiegten, kannte sie. Es handelte sich um das Porträt Micheles, allerdings
ließ er, vermutlich der Wiedererkennung wegen, die schlimmsten Verletzungen
weg. Nur an der Stirn, dort, wo Davids Stein aus der Schleuder den Riesen
getroffen und gefällt hatte, klaffte eine Wunde, die letzte, die tödliche. Den
David selbst kannte sie nicht, obwohl sie glaubte, ihm schon einmal begegnet zu
sein.
    „Schickt das Bild auf den Weg,
bringt es fort, ich kann und will diese hoffnungslosen Gesichter darin nicht
mehr sehen.“
    Seine Augen verdrehten sich, als
erleide er einen Kreislaufanfall, aber es war, wie sie längst wusste, ein
Moment höchster Konzentration. Vorsichtig nahm er seinen Pinsel, fuhr damit in
die Farbpalette, die zu seinen Füßen lag und in die er bereits einmal
hineingetreten war, nahm etwas an Farbe auf und fuhr mit leichten
Pinselstrichen über das Gemälde. Seit dem letzten Überfall brauchte er dafür
einen Malerstab. Bislang hatten seine Hände nicht gezittert, und vieles war von
ihm mit freiem Pinsel gemalt worden.
    „Schreibt ihm etwas von tausend
Scudi und barer Bezahlung auf mein Konto bei der Banca Sant’Eligio ...“
    David war sein triumphierendes
Lächeln abhandengekommen, jetzt spielte die Nachdenklichkeit des Schmollenden
um seine Mundwinkel. Bedeutete diese Änderung etwas oder war es einfach nur
eine Laune, wie er viele seiner Bilder einfach umänderte, Figuren hinzufügte,
andere abkratzte. Dem ganzen Bild war eine Schwermut eigen, die bedrückte.
    „Wer ist der Jüngling, Michele?“, wagte
sie zu fragen, denn Micheles Stimmung besserte sich mit jedem Satz, den er
diktierte, aber Enrico schüttelte kaum merklich den Kopf. Für ihn offenbar der
falsche Zeitpunkt für eine solche Frage.
    Nerina fragte sich selbst, was sie
von

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