Das Vermaechtnis des Caravaggio
ihnen beiden halten sollte, von ihr und Enrico, der sich liebevoll um sie
kümmerte und der seinen Spagat zwischen ihren Wünschen, den Anforderungen
Micheles und seinem Dienst für Ferdinando Gonzaga bewundernswert gelassen
bewältigte. Je länger sie sich sahen, je näher sie sich kennenlernten, desto
sicherer war sie, dass sie ihn liebte.
Doch Michele beachtete sie nicht.
Sie erhielt keine Antwort. Dabei kam ihr der Jüngling bekannt vor, dessen laszive,
etwas erotisch aufreizende Art vom Gesichtsausdruck hinterfragt wurde. Seine
entblößte Brust erinnerte sie an die Enricos, haarlos und kräftig. Dieser David
genoss jedoch seinen Sieg nicht, er dachte ganz offenbar daran, dass ihn eines
Tages an einem anderen Ort dasselbe Schicksal ereignen würde. In ihm flackerte
das Bewusstsein um die Vergänglichkeit seiner Macht.
Goliath, dessen abgeschlagenen
Schädel David an den Haaren von sich weg hielt und aus dessen Halswunde noch
das Blut strömte, hatten die Lebensgeister noch nicht verlassen. Sein Licht
glomm und warf das Erstaunen des Verstörten, des Ungläubigen in den Raum: Ich
werde bald sterben, verkündete das Gemälde, und Nerina schauderte, seit Michele
es begonnen hatte. Bis in ihre nächtlichen Träume hinein verfolgte sie dieser
Kopf.
„... erwarte ich als Gegenleistung
endlich meinen Dispens. Nur in Rom werde ich Werke schaffen können, wie sie
meinem Geist vorschweben. Ihr könntet daran teilhaben ... schreibt danach was
Ihr wollt, Enrico, aber zum Schluss muss stehen: Als Beispiel für meine
Meisterschaft überreiche ich Euch dieses Bild.“
Michele warf den Pinsel in einen
Tonbecher, trat ans Fenster des Palazzos und atmete tief ein. In dieser Gegend
verschwammen die Jahreszeiten, was Michele ihr gegenüber häufig beklagt hatte.
Heute aber spürte man deutlich eine Veränderung. Der Frühling brach an, die
Zeit der Stubenhockerei war beendet. Vom Meer her wehte endlich wieder dieser
trockene, würzige Duft des Tangs herauf, der das Blut in den Adern prickeln
ließ, und auch Nerina fühlte das Beben in ihrem Schoß, das sich mit den
häufiger werdenden Sonnentagen und der aufbrechenden Natur einschlich.
„Wann, glaubt Ihr, werden sie den
Dispens schicken?“
Ohne auf die Antwort zu warten,
scheuchte Michele den Jungen vom Podest, befahl ihm, sich anzuziehen, für heute
sei der Dienst beendet.
„Euer Gemälde wird ein Übriges
tun.“
„Ein weiteres Jahr im Exil überlebe
ich nicht mehr. Jetzt, in meinem Zustand, werde ich bald in Vergessenheit
geraten. Ich bin nichts weiter als ein Jahrmarktsschrecken. Gerade außerhalb
Roms muss man sich sehen lassen können, um dazuzugehören.“
In Nerinas Augen ungeduldig,
wartete er darauf, bis sich der Junge fertig angekleidet hatte. Dann steckte er
ihm eine Münze zu, die dieser mit einem Lächeln entgegennahm.
Wieder zu viel, dachte Nerina. Er
bezahlte seine Modelle zu gut, weil er Angst davor hatte, dass sie das Atelier
eines Monsters nicht mehr betreten würden.
Michele verließ kaum mehr den Palazzo,
mied Gesellschaften. Trinken, Huren, Malen füllten seine Tage, immer wieder
abgelöst von Fieberanfällen und eigenartigen Anfällen eines Verfolgungswahns,
während derer er sich in seinem Atelier verbarrikadierte und unter dem Bett,
das heißt unter dem Tisch mit der alten Malerleinwand, die Nacht verbrachte.
Als die Tür hinter dem Jungen
zuschlug, trat Michele an eines der Bilder, das mit einer Leinwand verdeckt auf
einer Staffelei stand. Mit einem Ruck entfernte er die Leinwand. Darunter zum
Vorschein kam ‘Das Haupt des Johannes’, stark beschädigt, an manchen Stellen
durch das Salzwasser zerfressen. Die Farbe abgelöst.
„Meine Lebensversicherung ist
beinahe unkenntlich geworden.“
„Dafür gibt es das Bild noch,
Michele, es hätte ebenso gut Fra Domenico in die Hände fallen können, wie das
erste.“
Nachdenklich nickte er und strich
über eines der wenigen Gesichter, die vom Wasser nicht angegriffen worden
waren, das Gesicht der Salome. Auch Enrico beobachtete Micheles Verhalten, und
sie sah, wie ein Zug gespannter Aufmerksamkeit sich um seinen Mundwinkel
bildete. Was dachte er? Fiel ihm die Ähnlichkeit auf, die das Gesicht mit ihr
selbst besaß? Aber das hatte nichts zu bedeuten. Solange Michele ein Gemälde
nicht aus der Hand gab, waren oft nur wenige Änderungen nötig, um Figuren darin
ein völlig anderes Aussehen, einen gänzlich von der ersten Skizze
unterschiedenen Charakter zu geben. Sie hatte lediglich Modell
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