Das Vermaechtnis des Caravaggio
daran Anteil nehmen, obwohl sie sich in den letzten Jahren
sehr nahe gekommen waren und sie in ihm sogar etwas wie einen Vater sehen
wollte. Trotzdem hatte sie kaum etwas über sein Innenleben erfahren, außer dem
Verhalten, das für sie offensichtlich war.
Er hatte ihr jedoch nie erzählt,
warum er unmäßig trank, warum er bis zur Besinnungslosigkeit hinter der
Staffelei stand und seine Werke schuf, wie er auf seine Ideen kam und warum er
seine Bilder mit Gedanken füllte, für die er von seinen konservativen
Auftraggebern beinahe gesteinigt wurde.
Sie beobachtete ihn immer noch, als
er sich zu ihr umdrehte und ihr direkt in die Augen sah.
„Ich werde das Bild fertigstellen.“
„Welches Bild?“
„Das Haupt des Johannes. Es ist
unsere Lebensversicherung!“
„Es ist was?“
Nerina fuhr der Schmerz mit
Heftigkeit in den Leib, und ihre Knie gaben beinahe nach. Sie verstand nicht,
was Michele damit meinte.
Doch Michele schien sich nicht mehr
um sie zu kümmern. Er zog das Tuch wieder vom Bild, trat ans Fenster, öffnete
dies einen Spalt weit, sodass Licht einfallen konnte. Dann setzte er sich in
den Schatten, nahm Palette, Pinsel und Farben, und begann weiterzuarbeiten,
ohne noch ein Wort zu verlieren.
Nerina schlurfte zurück ins Bett.
Jetzt würde sie nichts mehr aus Michele herausbringen. Sie legte sich auf die
Grasschütte, breitete das Laken über sich aus, nahm ihr Amulett in die Hand,
krümmte sich zusammen und ließ sich in ihren Gedanken ins Innere des Ureis
gleiten. Bevor der Dämmerzustand sie umfing, der alles auslöschte, die Sorge um
Enrico, die Schmerzen, Micheles Verhalten, geisterte die Frage in ihrem Kopf
herum, was es bedeuten konnte, dass das Bild ihre „Lebensversicherung“ war.
7.
Enrico hoffte, keinen Fehler
gemacht zu haben. Er trat von einem Fuß auf den anderen und fühlte sich in der
Eingangshalle des Gebäudes in der Nähe der Torretta unwohl. Der Palast mochte
einmal einen herrschaftlichen Glanz ausgestrahlt haben, jetzt zerfiel er
jedenfalls und wirkte eigenartig morbid. Putz blätterte ab, Steine fehlten in
der Mauer, man meinte, den Sand rieseln zu hören. Ob er hier wirklich etwas
fand, was seinem Herrn zum Erringen der Kardinalswürde weiterhalf? Ferdinando
Gonzaga hatte Rom für einige Wochen verlassen, um nicht den Eindruck des
Postenjägers zu erwecken. Von Mantua aus wollte er die Entwicklung weiter beobachten.
Während dieser Zeit sollte Enrico Informationen für seine Kandidatur zum
Kardinal sammeln. Dass er nebenher Erkundigungen über Caravaggio einzog, musste
sein Herr nicht wissen – und vielleicht ließ sich das eine oder andere Detail
daraus ja verwenden.
Der Cavaliere und Künstler Giuseppe
Cesare d’Arpino hatte ihm eine Audienz gewährt, aber jeder in Rom wusste, wie
dieser zu Caravaggio stand. Sonst umgaben nur Gerüchte den Abstieg des
ehemaligen Lieblings der Kardinäle. Auf den Namen d’Arpino war er im Gespräch
mit Julia gestoßen, und ihm sagte sein Gefühl, dass es sich lohnen konnte, mit
dem Cavaliere zu reden.
Sogar die stumme Aufforderung eines
Dieners in schäbiger Livree, der ihm winkte, ließ in ihm ein Unwohlsein zurück.
War es richtig, d’Arpino über Caravaggio zu befragen? Aber das Gerücht, das ihm
zu Ohren gekommen war, hatte ihn neugierig gemacht.
Diener voraus betrat er einen
hohen, eher dunklen Raum, dem ein schwerer Schreibtisch seine Note aufdrängte.
Der Diener hieß Enrico zu warten. Kein Stuhl, mit Ausnahme des
Schreibtischstuhles, bot Platz, so stand Enrico und besah sich die Ausstattung.
Die holzgetäfelten Wände verkleinerten und verdunkelten optisch und ließen den
Blick unwillkürlich nach oben gleiten, und dort brach ein Fresko den Raum auf
und verlängerte ihn hinaus in die Weite eines Götterhimmels. Der Freskant
hatte, soweit abgeblätterte Stellen eine Deutung zuließen, eine Szene der
griechischen Mythologie festgehalten: Apoll mit der Lyra auf dem Sonnenwagen
thronend, umkreist von den Musen.
„Durch mich wird Zukünftiges,
Vergangenes und Gegenwärtiges offenbar, durch mich tönt harmonisch das Lied zu
den Klängen der Saiten. Sicher trifft mein Pfeil. Meine Erfindung ist die
Heilkunst, überall auf der Welt heiße ich Helfer, und auch die Kraft der
Kräuter ist mir Untertan.“
Enrico drehte sich der Stimme zu,
die eben mit vollem Klang die Sätze intoniert hatte. Der Mann, zu dem sie
gehörte, betrat den Raum durch eine versteckte Tür in der Vertäfelung. Wenn das
Zitat eine Prüfung darstellen
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