Das Vermaechtnis des Caravaggio
sollte, dann konnte er dagegen Erfahrung setzen.
Mit solchen Sentenzen hatte ihn der Prior seines ehemaligen Konvents gefüttert
und geplagt. Bildung hatte er es genannt, Formung. Zu jeder Lebenssituation,
hatte er damals verkündet, gehöre ein Satz, an dem man sich aufrichten,
orientieren oder in dem man zumindest Trost finden könne.
„Ovid“, ergänzte Enrico. „Metamorphosen!“
Er versuchte, seiner Stimme eine
gewisse Selbstsicherheit zu verleihen, was ihm nur unzureichend gelang. Aber
seinem Gegenüber schien dies nicht aufzufallen.
„Ich sehe, Ihr kennt Euch aus“,
begrüßte ihn der Fremde. Er trug einen Spitz- und einen Oberlippenbart, wie ihn
die Mode vorschrieb, nackenlange Haare, die vorne bereits licht zu werden
begannen und zu den Seiten strähnig herabfielen, dazu ein Hemd mit breitem
Kragen und darüber eine Weste, an der Längswülste abgenäht waren. Kleidung und
Barttracht zeigten, dass er sich im Gegensatz zu seiner Umgebung, die
Vergänglichkeit ausstrahlte, modern und aufgeschlossen kleidete.
„Eine aussterbende Technik. Noch
vor zwanzig Jahren wimmelte es in Rom vor Freskanten. Jeder wollte ein
Michelangelo werden, und alle Menschen mit Sinn für Schönheit und einem gefüllten
Geldbeutel wollten ihre Räume ausstatten wie die Sixtinische Kapelle.
Aber die neue Zeit schuf neue
Auftraggeber mit verändertem Geschmack. Die Wünsche der Sammler änderten sich.
Kann man ein Fresko mitnehmen, hieß es plötzlich? Kann man ein Fresko
weiterverkaufen, wenn Not daran ist? Kann man es verschenken? Natürlich nicht,
mein Freund. Deshalb gewann die Leinwand wieder mehr an Bedeutung. Leicht zu
transportieren, leicht zu verkaufen oder zu verschenken. Schnell herzustellen,
schnell weiterzugeben. Die Staffelei hielt wieder Einzug in Rom. Und mit ihr
eine neue Art der Künstler, eine andere Form der Kunst.“
Während die Freskanten
zurückgestoßen wurden in die Armut, dachte sich Enrico. Mit einiger Mühe suchte
er eine Lücke im Wortschwall und unterbrach sein Gegenüber.
„Cavaliere d’Arpino?“
Als käme er aus einer anderen Welt,
riss d’Arpino seinen Blick von der Decke los und betrachtete Enrico, die Augen
leicht verschleiert. Dann lächelte er und reichte ihm die Hand.
„Ihr seid der Sekretär des Herzogs
Gonzaga! Meines Gönners.“
Enrico nickte und hoffte, der von
Papst Clemens VIII. zum Ritter, zum Cavaliere, ernannte Künstler würde so viel
Anstand besitzen und sich noch mit einem einfachen Sekretär wie ihm
unterhalten. Aber sein Hinweis auf Ovid und die prekäre finanzielle Lage des
Künstlers schienen bereits eine Brücke geschlagen zu haben. D’Arpino fasste
ihn jedenfalls an der Schulter und führte ihn nach nebenan. Der Raum war ebenfalls
spärlich möbliert. Nur zwei Sessel standen nahe an einem steinernen Kamin. Der Cavaliere
deutete auf den Sessel zunächst der Tür und setzte sich selbst in den anderen.
In der Luft lag ein Geruch nach Nässe und Schimmel, den die Hitze des Feuers
nicht zu mildern vermochte. Der Stoff seines Sessels fühlte sich feucht an.
„Ihr wollt mit mir über Caravaggio
sprechen? Habt Ihr einen besonderen Grund dafür?“
Enrico räusperte sich. Gründe wusste
er genug, aber keinen davon konnte er ohne Weiteres dem Cavaliere eröffnen. Außerdem
wusste er nicht recht, wie er darauf reagieren würde, schließlich kannte jeder
in Rom die Feindschaft zwischen den beiden Männern nur zu gut, obwohl sie sich
als Künstler durchaus schätzten.
„Michelangelo Merisi ist aus Rom
verschwunden, wie Ihr sicherlich erfahren habt.“
D’Arpino schlug die Beine
übereinander, verschränkte die Hände und ließ die Fingerknöchel hörbar knacken.
„Ein Verlust für die Künstlergemeinde,
ein Segen für die Bewohner Roms.“
„Mein Auftraggeber, Ferdinando
Gonzaga, möchte ein Bild Caravaggios aus seiner Jugendzeit erwerben und wir
hörten, dass Ihr zurzeit bereit seid, welche zu verkaufen. Ihr kanntet ihn
doch, den Michelangelo Merisi?“
Am liebsten wäre Enrico jetzt auf
die Knie gesunken und hätte gebetet: Lass ihn über die Zeit Caravaggios in
seinem Haus reden! Eine Absage des Cavaliere hätte für ihn einen Bruch in der
Lebensgeschichte des Malers bedeutet und ihm damit die Möglichkeit genommen,
den Geheimnissen des Mordes und der Verfolgungen auf die Spur zu kommen. Nur
Verhandlungen über ein Bild zu führen, brachte ihn nicht weiter.
„Natürlich kenne ich ihn.
Schließlich war ich es, der ihn entdeckt und gefördert hat.“
Mit
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