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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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deine Mauer aus Schmerz einreißen, die es deinem Herzen nicht ermöglichte, unvoreingenommen und heiter zuzuhören. Vielleicht ist es aber ja auch meine Tochter, die die Geschichten gar zu eintönig erzählt.«
    Gua Li war empört. »Ada Ta!«, rief sie zornig. »Zuerst willst du, dass ich alles auswendig lerne, und dann sagst du mir, ich sei eintönig!«
    »Nein«, ergriff Ferruccio das Wort. »Gua Li hat mich nie gelangweilt, und du hast recht, was meinen Schmerz angeht. Mit deinem Stock hast du mir die Augen geöffnet. Aber ich für meinen Teil habe auch zahlreiche Fragen, die ich Euch stellen möchte. Mittlerweile glaube ich zu verstehen, nein, ich glaube zu wissen , warum Ihr ausgerechnet mich auserwählt habt. Ich verstehe nur nicht, welche Gründe denjenigen bewogen, der uns zusammentreffen ließ.«
    Er ging zum Fenster und öffnete es. Die Blätter der Platanen und Kastanien waren von ein paar Windböen aufgewirbelt worden, und der darauffolgende Regen hatte sie wieder zu Boden gedrückt. Nahe dem Abfluss bewegte sich unauffällig zwischen den vielen anderen Blättern ein Blatt. Gelb und grün – wie alle anderen. Langsam, aber unaufhaltsam wurde es fortgetragen, als wehte eine Brise nur für dieses eine Blatt. Darum schien es auch einzigartig zu sein. Erstaunlich, wie ein Ereignis, das keinerlei Bedeutung hat, manchmal die tiefgründigsten Gedankengänge abzulenken vermag.
    Ferruccio wollte sich gerade abwenden, als er bemerkte, wie das Blatt einen kleinen Hüpfer machte, und er sah, dass es ein Frosch war. Nichts ist so, wie es scheint , hatte ihm immer sein Großvater Paolo wiederholt. Hüte dich vor dem Schein, und wenn du wissen willst, wann dein Gegner zuschlägt, dann schaue ihm in die Augen und niemals auf seine Hand .
    »Ich bin es leid, hier zu sein«, sagte Ferruccio und ballte die Fäuste. »Die Gastfreundschaft des Fürsten Colonna gleicht einem Gefängnis. Ich muss jedoch auf die Ankunft des Kardinal de’ Medici warten. Ihr wisst nichts darüber, und das ist auch besser so, doch wenn er kommt, muss ich Euch verlassen.«
    »Manchmal muss man nicht verstehen, um zu begreifen.«
    Ada Ta starrte ihn an, und Ferruccio erwiderte fragend seinen Blick.
    »Es waren einmal zwei Reisende …«, fuhr der Mönch fort, »… die an eine Wegkreuzung gelangten. Der eine wollte nach links, einen Karren und ein Pferd auf dem Markt in Samarkand kaufen und der andere nach rechts, um wertvollen Bernsteinschmuck in Bukhara feilzubieten. Obwohl es beiden leid tat, entschieden sie, sich zu trennen. Da hatte einer der beiden eine Idee: Zuerst werde er seinen Freund auf den Markt nach Samarkand begleiten, schlug er vor, und dann würden sie beide, bequem auf dem Karren sitzend, nach Buchara fahren und dort sogar früher ankommen, weil sie nicht zu Fuß gehen müssten.«
    »Ich glaube, ich weiß, was du meinst«, antwortete Ferruccio, »aber Ihr habt Eure Mission, die Ihr erfüllen müsst, und ich die meine.«
    »Wenn wir das Pferd haben, dann gehen wir alle gemeinsam nach Buchara.« Ada Ta klopfte zweimal mit seinem Stock auf den Boden und sog die Luft ein. »Riecht Ihr das auch? Der Geruch, der durch das Fenster hereinströmt, kündigt einen frühen Wechsel der Jahreszeiten an. Was meinst du, Gua Li? Unser Freund tut gut daran zu denken, dass an diesem gastfreundlichen Ort nicht mehr süße Früchte zu finden sind, sondern nur noch giftige Schlangen. Ein Schlangennest mag der sicherste Ort auf der Welt sein – allerdings nur für eine Schlange.«
    »Ich rieche an ihm nicht mehr den Geruch des Todes – er ist weg«, sagte die junge Frau. »Jetzt vertraue ich ihm.«
    »Eine Frau traut einem Mann erst, wenn sie erreicht hat, dass er das denkt, was sie schon lange entschieden hat. Ich erinnere mich, wie zwei Lämmer den Wolf überstimmten bei der Frage, was sie an diesem Abend essen sollten. Ich erinnere mich aber nicht mehr, wie es ausging.«
    »Du bist kein Wolf«, lächelte ihn Gua Li an. »Du bist ein altes Kind. Du bist in der Tat ein Lao-Tzu.«
    »Und du das junge sprechende Äffchen, das die Dämonen vertreibt. Und angesichts der Tatsache, dass du die Gabe des Wortes hast und einen beispiellosen Reichtum an Zeit: Warum erfreust du unseren Ritter nicht mit der Geschichte, wie Īsā das Spiel mit den Steinen lernte? Dann sehen wir weiter. Aber auch ich vertraue ihm nun.«
    Ada Ta setzte sich auf den Boden, schloss die Augen und dankte der Energie der Erde, die es ihm ermöglicht hatte, den ersten Teil seiner

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