Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
dass de’ Medici gerade in Rom angekommen und Gast der Familie Sforza war. Colonna war nicht wenig überrascht gewesen, dass er dies über seine Spione erfahren musste und dass der Kardinal nicht direkt zu ihm gekommen war. Besser so – er hatte anderes zu tun und würde sich nach seiner Rückkehr damit beschäftigen.
Die Krönung Friedrichs von Aragon stand vor der Tür. Er und sein Cousin Prospero würden ihn in die Kathedrale begleiten und das Ehrenschild und das Banner als Zeichen ihrer ewiglichen Allianz tragen. Ewiglich – oder zumindest so lange, bis sie sich einigen könnten, wer von den Mailändern, Franzosen und Venezianern der Stärkste und Großzügigste sei. Vor seiner Abreise hatte er jedoch den Befehl gegeben, die Gäste mit Respekt zu behandeln – wenigstens solange sie sich an das Verbot hielten, den Palazzo nicht zu verlassen. Denn so hatte es der Kardinal mit ihm vereinbart. Diese Anordnung galt für alle, außer für Maestro Leonardo und den Knappen von Ritter de Mola – Gabriel hieß er wohl. Klein von Statur, aber hell im Kopf wie er war, würde er einen hervorragenden Fahnenträger in seinen Diensten abgeben. Seine Männer hatten ihm erzählt, dass Gabriel sich oft in der Nähe von Sankt Peter herumtrieb und sich mit albernen Galanterien vor den Küchenmägden aufspielte. Eine Aufgabe, die ihm zuzusagen schien. So gelangte er nämlich an Neuigkeiten über die Aktivitäten bei Hofe mit all den Festen und Banketten und den zahlreichen Gästen. Manchmal entdeckte er auch versteckte Qualitäten bei den Küchenmädchen mit ihren prosperierenden Alkoven und den geschickten Fingern, die immer ein wenig nach Zwiebeln rochen. Wie dem auch sei, es trug immer Früchte, wenn man Spione spionieren ließ.
Die Schatten über dem Palazzo wurden länger. Erneut hatte Ferruccio einen Tag damit verbracht herauszufinden, wie viel Lüge und wie viel Wahrheit sich hinter den Erzählungen Gua Lis verbargen. Seit über zwei Wochen hörte er ihr zu, aber es war, als jage man einen weißen Hasen im Schnee: Man sieht die frischen Spuren, und gerade, wenn man glaubt, der Beute nahe zu sein, lösen sie sich in Luft auf, und der Himmel schickt Blitz und Donner, um einen zu verwirren und schließlich zum Aufgeben zu zwingen. Es gab Momente, da erinnerte er sich an die Zeiten, in denen er Giovanni Pico ungläubig, aber voller Vertrauen zugehört hatte. An Zeiten, in denen das Bildnis der Großen Mutter sich mit dem Antlitz Leonoras vermischt hatte.
Glückseligkeit lässt alles glaubhaft erscheinen. Doch wenn er damals unglücklich gewesen wäre, hätte er auch dann Giovanni Pico geglaubt? Hätte er auch dann Picos Thesen logisch und jeden Gedankengang für schlüssig befunden? Oder hätte er die gleichen Zweifel gehabt, die ihn heute quälten? Wäre ihm auch dann Gua Li hinterlistig erschienen, die danach zu trachten schien, ihn wie weiches Wachs in ihren Händen zu formen? Sein Geist versuchte Ferruccio zu bewegen, ihr zu glauben – sein müder Körper hingegen ließ ihn zweifeln. Und nach jedem nutzlos verbrachten Tag verlor er ein Quäntchen Hoffnung, Leonora je wiedersehen zu dürfen. Es war wie ein böses Geschwür, das immer weiter in ihm heranwuchs. Er hatte die letzten Worte Gua Lis gar nicht mitbekommen, trotzdem schüttelte er den Kopf.
»Du erzähltest, wie Īsā die Berge des ewigen Eises erreichte und von den Bön-Mönchen mit Freuden empfangen wurde. Du erzähltest aber auch, wie sie ihn Tag und Nacht quälten. Und dass sie ihn bestraften, ihn tagelang hungern ließen und ihn der Kälte aussetzten, nur mit einem Leintuch bedeckt. Ich glaube, wenn ein Pilger zu mir käme, dann schickte ich ihn entweder weg oder nähme ihn auf – aber sicherlich würde ich ihn nicht quälen; das wäre nicht richtig. Und außerdem: Warum ging Jesus nicht fort? War er vielleicht nicht frei?«
»Das war sein Karma«, antwortete ihm Gua Li. »Dem konnte er nicht entkommen.«
»Schon wieder dieses Karma«, nörgelte Ferruccio. »Ich verstehe es nicht.«
Ada Ta machte seine täglichen Übungen. Ohne den Boden zu berühren, vollführte er eine Dreifachdrehung um seinen Stock und landete knapp neben Ferruccio, der sich keinen Zentimeter zur Seite bewegte.
»Wenn man den Mund nicht aufmacht, kann man dem Magen keine Mandel geben, selbst wenn er hungrig ist. Die Zähne sind das Gatter der Seele.«
»Und leere Worte sind wie der Wind, der nur die Blätter aufwirbelt und sie durcheinanderbringt«, antwortete Ferruccio
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