Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Christus und keine Madonna an diesem Ort, an die man sich mit einem Gebet wenden konnte, nur Tierfiguren, verstorbene Vorfahren, Gräber ohne Kreuze, Sternzeichen, heidnische Symbole und in Stein gemeißelte Monster überall. Kurz darauf erschien Pandolfo in Begleitung eines Jünglings. Ihre Schritte hallten durch die ganze Kapelle.
»Sie schreiten voran wie Kranke«, flüsterte Micheletto. »Hütet Euch vor ihnen!«
Pandolfo lächelte, als er sah, dass Cesare ihm den Handschlag verweigerte.
»Ihr seid vorsichtig, Monsignore, und ich bin es auch. Es ist wahr, dass das Übel unsere Burg heimsuchte – aber es hat sich nicht ausgebreitet. Drei Tote – zwei Diener und eine Magd – haben wir zu verzeichnen. Zwei Infizierte sind auf dem Weg der Besserung. Als ich Eurem Vater schrieb, fürchtete ich die Ansteckung, aber nun nicht mehr.«
»Was ist das nur für eine Plage«, fragte Cesare, »die anlandet, tötet, die sich dann aber nicht festsetzt?«
»Wenn ich es wüsste, wäre ich kein Mann der Waffen wie Ihr«, entgegnete Pandolfo. »Auf Anraten eines venezianischen Baders haben wir uns weder mit einem Auszug aus Viperngift noch mit Skorpionöl oder mit Gebeten in der Kirche geschützt. Das hier ist übrigens sein Schüler.«
»Wer seid Ihr?«, fragt Cesare den Jüngling brüsk.
»Girolamo Fracastoro, Monsignore.«
»Dann sagt mir, was Ihr wisst.«
»Ich weiß, dass ich nichts weiß, Monsignore, so wie es uns die Apologie Platons lehrt. Nichtsdestotrotz konnte ich einige Krankheiten beobachten, die durch Ansteckung ausbrechen. Und ich glaube, dass sie nicht durch böswillige Verbindungen der Sterne oder infernalische Ausdünstungen entstehen. Und sie verbreiten sich auch nicht durch den Willen Gottes oder seines Feindes.«
»Ihr wisst, wer ich bin?«
»Ja, Monsignore. Der Edle Malatesta hat es mir gesagt.«
»Dann wisst Ihr auch, dass mein Vater Euch auf der Stelle exkommunizierte, würde er Euch auf diese Weise Gott lästern hören.«
»Verzeiht, ich antwortete nur auf Eure Frage. Erlaubt mir zu bemerken, dass die Wissenschaft nicht die Feindin Gottes ist, sondern die Feindin der Unwissenheit.«
»Nun geht. Aber denkt nicht, dass Ihr mich mit Euren Sprüchen verzaubern könnt. Wir haben schon eine gar zu große Menge Scharlatane in Rom, und ich kenne sie alle.«
»Wir – der Maestro und meine Wenigkeit – meinen, dass die Krankheiten, die sich durch Ansteckung manifestieren, durch winzige Wesen übertragen werden; wie kleine Samen, die der Wind befördert.«
»Ausdünstungen also.«
»Nein, Monsignore, es ist organische Materie, die sich im menschlichen Körper verteilt und vermehrt wie die Ameisen in einem Baumstamm, bevor er abstirbt. In unserem Fall haben diese Wesen die Fähigkeit, sich zu übertragen. Entweder durch direkten Kontakt, über die Atemluft oder durch einen Überträger.«
»Und wer oder was soll dieser sogenannte Überträger sein?«
»Ein Gehilfe, Monsignore, ein Mittler. Ein Tier zum Beispiel. Eine Ratte oder ein Vogel, um die Naheliegendsten zu erwähnen.«
»Und wie es der Zufall so will«, warf Pandolfo ein, »erreichte vor einigen Wochen eine Kiste die Burg, die ein paar angefressene Teppiche und Ratten barg. Einige waren bereits tot, als die Kiste geöffnet wurde, einige noch am Leben. Sie wurden gefangen und getötet von denen, die dann starben.«
Cesare Borgia schaute zu Boden, und Micheletto zückte sein Schwert. Wenn der Tiber anstieg, entwichen den Verliesen der Engelsburg Tausende von Ratten. Und für die Garnison war es ein lustiger Zeitvertreib, sie herumzuscheuchen, mit den Armbrüsten oder mit Pfeil und Bogen nach ihnen zu jagen, um sie dann in den Tiber zu werfen oder ihnen die Köpfe abzuschneiden. Oft hatte er Ratten unter seinem Bett gehört, wie sie das Holz annagten, und am Morgen ihre Hinterlassenschaften gefunden.
»Fracastoro, seid Ihr Euch sicher in dem, was Ihr da sagt?«
»Nein, Monsignore, aber es ist die wahrscheinlichste Annahme.«
»Pandolfo, woher kam die Kiste?«
»Ich nahm an, dass es das Geschenk eines Kaufmannes war, doch die Teppiche stammen aus dem Orient. Die Kiste möglicherweise auch.«
»Ihr müsstet noch Folgendes wissen«, merkte Fracastoro an. »Im letzten Jahrhundert hatte der Schwarze Tod Städte wie Brüssel, Brügge und Mailand fast gänzlich verschont. Möglicherweise retteten die Einwohner ihre Gebete – viel wahrscheinlicher aber die Ärzte. Diese folgten nämlich den Ratschlägen des berühmten Chirurgen Chauliac, der
Weitere Kostenlose Bücher