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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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bei Pestepidemien überall Feuer hatte anzünden lassen, damit die Hitze die Luft reinigte. Zweifellos hielten sich durch die Feuer auch Ratten und Vögel fern. Dies zu Ihrer Kenntnis, Monsignore.«
    Cesare wusste, worauf Pandolfo hinauswollte. Er kannte die eigenen Ängste und Grenzen – so wie jeder Eroberer die Stärken und Schwächen seiner Soldaten kennen muss, wenn er den Sieg erringen will. Bislang war er sich sicher gewesen, dass die Pest nur eine fixe Idee seines Vaters war, etwas, das der Vergangenheit angehörte und den Ängsten der Alten entsprang. Und dass sie sich damit wichtigmachten, indem sie Ereignisse aus der Vergangenheit in ihren Erzählungen aufblähten, um die Jungen einzuschüchtern und ihnen Respekt abzuringen. Er hatte seinen Vater sogar verdächtigt, ihn loshaben zu wollen, um Lucrezia auf seine Art über den Verlust des Bastards hinwegzutrösten. Abenteuerlustig war er aufgebrochen und hatte mit seinen Kumpanen großen Spaß gehabt. Sie hatten die Karren auf den Märkten umgeworfen und waren dann lachend davongeritten, die Verwünschungen der Händler ignorierend. Doch das, was wie eine kurzweilige Ablenkung von den Angelegenheiten der Kurie und den eigenen Interessen erschien, hatte sich wie eine sich häutende Schlange verändert mit der Wahrheit, die Cesare langsam begriff: Die Pest machte aus dem Jüngling einen Mann.
    Er warf Fracastoro einen letzten Blick zu, der ihn ohne Hochmut und Angst erwiderte. Ein flüchtiger Gruß für Pandolfo, ohne ihn zu berühren, und ein eiliger Befehl an die Seinen, unverzüglich aufzubrechen. Feuer also. Er würde es Tag und Nacht am Leben erhalten, sommers wie winters. Ganz Rom würde brennen, falls nötig.
    Die Pferde. Glänzend vor Schweiß, mit aufgerissenen Augen und Nüstern stürmten sie dem vertrauten Stall entgegen. Die schmerzenden Sporenwunden schienen vergessen. Als Michelettos Maremmano die Engelsburg sah, gab es kein Halten mehr, und wie von einem Bienenschwarm verfolgt, stürzte das Tier über die Brücke des Tibers. Die Bemühungen seines Reiters, ihn zu zügeln, waren nutzlos. Selbst als die Kandare sein Maul verletzte, wollte es nicht anhalten. Als die bewaffneten Hellebardenträger das wild gewordene Pferd auf sich zustürmen sahen, kreuzten sie ihre Lanzen. Das Pferd samt Reiter überrannte sie einfach, während Micheletto die schlimmsten Verfluchungen gen Himmel und sein Pferd ausstieß. Im Hof wurden beide sofort umzingelt, woraufhin das Pferd scheute und seinen Reiter abwarf. Irgendjemand bekam die Zügel zu fassen, und alle waren damit beschäftigt, den Hinterhufen auszuweichen. Als sich das Tier beruhigt hatte, näherte sich ihm ein wütender Micheletto, der von oben bis unten mit Staub bedeckt war. Dann kniete das Pferd zu Boden, blickte seinen Herrn ein letztes Mal an und brach mit zerrissenem Herzen tot zusammen.
    Hoch oben auf dem Turm in der Via Leccosa betrachtete Osman im Schatten einer Loggia die aus dem Osten herannahende Staubwolke. Erst hörte er das dröhnende Getrampel der Hufe, dann sah er die Ritterschar, die im gestreckten Galopp auf die Engelsburg zustürmte. Dort oben konnte er frische Luft einatmen, die Luft in den ersten Stockwerken hingegen war vom Todesgestank der kleinen verfaulenden Kadaver verpestet, die sich noch in der Kiste befanden. Seit Wochen waren trocken Brot, Käse und Regenwasser die einzigen Nahrungsmittel für ihn gewesen. Eines Morgens war er mit einem stechenden Schmerz in der Leistengegend erwacht und hatte sich das Hemd hochgezogen. Über den Schamhaaren hatte sich eine mandelgroße violette Beule manifestiert. Obwohl die Kiste nicht geöffnet worden war, hatte er es sofort gewusst …
    Nach zwei Tagen mit hohem Fieber und Brechreiz war er bis auf die Knochen abgemagert und die Beule groß wie ein Hühnerei geworden. Nachdem er die Tür verriegelt hatte, legte er sich auf das Bett, betete zu Allah, dass es schnell geschehen möge, und wartete auf den Tod. Am fünften Tag hatte ihn ein starker Regenguss geweckt, und er hatte das von der Decke tropfende Wasser getrunken. Nach zwei weiteren Tagen konnte er wieder aufstehen. Er war zwar unendlich schwach, aber verblüfft, dass er noch am Leben war. Noch verblüffter war er allerdings über die Gedanken, die ihm im Delirium in den Sinn gekommen waren. Oder waren es Träume gewesen? In ihnen gab es weder die Wächterin des Berges noch die geheimen Treffen mit dem Wesir, keine Jungfrauen, die ihn im Paradies erwarteten, oder Erinnerungen an

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