Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
Vom Netzwerk:
wie Lao-Tzu sagt …«
    Wie zu Kinderzeiten, wenn die Sonne sommers genau auf das Kopfteil ihres Bettes schien, versenkte Gua Li ihr Gesicht in den weichen Daunenkissen und hielt sich die Ohren zu. Das mit den Sonnenstrahlen war ein Trick von Ada Ta, da war sie sich sicher.
    »Nun kannst du mir viel über den Wurm am Morgen erzählen, ich höre dir gar nicht zu.«
    »Über den Vogel wollte ich nur sagen, dass dieser am Morgen die dicksten Würmer fängt.«
    »Also, Ada Ta …« Gua Li setzte sich auf. »… wie viele Geschichten über Würmer und Vögel muss ich mir noch anhören, um zu erfahren, was du mir eigentlich sagen willst?«
    »Vielleicht nur noch, dass der arme Fischer den Fisch nur dank des Wurmes essen kann, der wiederum vom Kadaver eines Königs aß.«
    »Und was hat das damit zu tun?«
    »Nichts, nur dass es uns viel über den immer wiederkehrenden Kreislauf des Lebens lehrt und dass oben auch unten sein kann.« Zustimmend nickte der Mönch, offensichtlich zufrieden mit seinem Gedankengang. »Doch du hast recht, meine Kleine. An diesem Morgen hat mich der Sonnenaufgang dazu eingeladen, die frische Luft zu genießen. Das war sozusagen der erste Wurm. Ich habe mich auf einem Platz wiedergefunden, den diese Barbaren nutzen, um Menschen und Tiere aufzuhängen oder zu zerstückeln. Eine Gruppe junger Männer, die mit Hippen und Schwertern bewaffnet waren, standen um eine alte Statue herum. Ich habe mich schnell unsichtbar gemacht, weil sie mich gut und gerne mit einem Feind verwechseln konnten. Und wenn das passiert wäre, hätten am Ende sie den Schaden genommen …«
    »Du bist zu gütig, Ada Ta.«
    »Danke, meine Eisblume.«
    »Auf dem Eis wachsen keine Blumen.«
    »Darum bist du ja auch so wertvoll für mich. Die jungen Männer gingen lachend davon und kamen an mir vorbei, ohne Notiz von mir zu nehmen. Da bemerkte ich, dass sie einen Zettel zu Füßen der Statue abgelegt hatten.«
    »Ein Gebet?«
    »Wenn das ein Gebet sein soll, dann haben sie eine merkwürdige Art zu beten«, lächelte Ada Ta. »Eine überaus heitere sogar. Auf dem Zettel stand geschrieben: Der Sodomit aus der Toskana küsste dem Aubusson den Arsch, die Hände und das Haupt, und seit August wartet er auf die Rute, die ihm nur der Spanier zu geben vermag.«
    » Ich habe kein Wort verstanden, aber es gefällt mir nicht.«
    »Mir auch nicht, und aus diesem Grund machte ich mich wieder sichtbar und hielt die Jünglinge an, von denen ich glaubte, sie hätten den Zettel geschrieben. Anfangs befürchteten sie, ich sei ein Spion des Mannes, der im weißen Gewand auf dem Throne Roms sitzt – und dass ich sie denunzieren würde. Große Angst ruft Zorn hervor.« Ada Ta schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, dass ich meinen Stock gegen ihre Schwerter gebrauchen musste. Der Elefant sollte seine Kraft nutzen, um Baumstämme zu heben, und nicht, um die Pferde scheu zu machen.«
    »Ich glaube zu wissen, wer hier der Elefant war …«
    »Doch dann, als sie nicht mehr ihre Schwerter hatten, haben sie wie die Vögelchen gesungen. Es war lehrreich zu erfahren, dass der Sodomit – ein Wort, das ich nicht kannte und das mich überaus zum Lachen brachte – der Fürst der Kirche, Giovanni de’ Medici, ist und dass der Spanier der jetzige König der Kirche, Rodrigo Borgia, ist, der eben aus jenen Ländern der friedlichen Mauren stammt.«
    »Ja und? Wo ist das Problem, Ada Ta?«
    »Das Problem kennen, heißt nicht, eine Lösung zu haben. Erinnere dich, dass Zettel sprechen, wenn sie gelesen werden, und dieser Zettel spricht von August. Wenn de’ Medici nun also seit zwei vollen Mondzyklen hier ist, warum besuchte er uns erst vor wenigen Wochen? Außerdem kam er zu uns wie ein Wolf, der am Lämmchen schnuppert. Die klare und reine Stimme des Volkes hingegen ist wie Quellwasser. Die Jünglinge berichteten außerdem, dass er seit einiger Zeit darauf wartet, vom Papst empfangen zu werden, der eigentlich sein Feind sein müsste. Wenn aber der Bauer mit dem Fuchs spricht, muss sich das Huhn Sorgen machen, und ich sehe bereits die ersten Federn.«
    Selten – und seitdem sie hier waren, zum allerersten Mal – hatte Gua Li ihn so sorgenvoll gesehen. Die Sorge um den alten Mönch krampfte ihren Magen zusammen.
    »Worüber habt ihr gestern gesprochen?«
    »Über nichts, das er nicht schon wusste.«
    Der Mönch fügte dem nichts hinzu. Gua Li betrachtete ihn, wie er den Hals hin und her drehte und sich mit den Armen half, die Atmung zu verlangsamen. Sie wusste,

Weitere Kostenlose Bücher