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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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dass diese Bewegungen ihm zwar nicht halfen, den Schwierigkeiten zu entkommen, aber den Schlüssel für die Lösung zu finden.
    »Ich werde es zulassen, dass meine Gedanken im ungestümen Galopp durch die Weiten der Möglichkeiten eilen«, sagte ihr Ada Ta. »Und ich werde versuchen, das dritte Auge zu öffnen, so wie es uns unser Meister Rimpoche lehrte. Sprich mit Ferruccio, aber kein Wort zu Gabriel oder Meister Leonardo! Bei Gabriel fürchte ich den Charakter des nervösen Marders und beim Zweiten einen Esel vor dem vollen Trog, der so in seine Gier versunken ist, dass er den Tiger erst bemerkt, wenn er schon auf seinem Rücken schmaust.«
    Während Gua Li ihren Sari anzog, konnte sie spüren, wie sich ihr Meister darauf konzentrierte, den Geist mit Energie zu füllen und zu expandieren. Seine Aura wechselte von Indigo zu Violett. Vielleicht würde sich das dritte Auge öffnen und ihm die Lösung überstreifen.
    Als sie Ferruccios Zimmer betrat, fing Gua Li mit ihrer Geschichte an, und es kümmerte sie nicht, ob er bei Bewusstsein war oder nicht.
    »Vater?«
    »Ja, mein Sohn?«
    »Mama behandelt mich immer noch wie einen kleinen Jungen.«
    Der Mann strich sich über seinen lichten schwarzen Bart, der schon hier und da ein paar weiße Strähnchen aufwies. Er schaute in den Himmel. Die leuchtenden Sterne tauchten die Bergspitzen und die schneebedeckten Hänge in ein bläuliches Licht. Die Dunkelheit ist zwar überall gleich, doch die eisige Luft ließ die Sterne hier viel heller leuchten als die, die er vor vielen Jahren am Ufer des Jordans betrachtet hatte. Er schaute wieder seinen Sohn an, der ihn Vater genannt hatte.
    »Und du? Wie fühlst du dich?«
    »Groß, mein Vater. Ich habe gelernt, die Haut der Büffel zu gerben und ihre blauen Augen in meinem Geiste zu bewahren. Ich kann Esel lenken und Hasen mit Pfeil und Bogen erlegen, so wie du es mich lehrtest. Ich töte Ziegen, ohne sie leiden zu lassen. Und die besten Elsterfallen sind meine, das sagte mir mein Bön-Meister.«
    »Was hast du sonst in letzter Zeit noch von ihm gelernt?«
    »Dass sowohl das weiße als auch das schwarze Licht von dem ersten Gott der Welt geschaffen wurden. Zuerst war jedoch das schwarze Licht da, das den Menschen Unglück und Krankheiten brachte. Erst dann kam das weiße Licht, das den Menschen das Gute und die Wahrheit brachte.«
    Der Jüngling ließ es zu, dass sein Vater ihm zärtlich den Nacken streichelte, ließ sich jedoch nicht von seinen Gedankengängen ablenken.
    »Es gibt allerdings etwas, das ich nicht verstehe. Warum hat Gott zuerst das Böse erschaffen? Findest du das gerecht?«
    »Du hast vollkommen recht, mein Sohn, ich bin ganz deiner Meinung. Hast du darüber bereits mit dem Bön-Meister disputiert?«
    »Nein, Vater, ich befürchtete, es könnte eine ketzerische und dumme Frage sein.«
    »Nichts, was den Durst nach Wissen stillt, kann die Götter beleidigen, und nichts, was mit ihnen zu tun hat, kann dumm sein.«
    Der Jüngling schaute ihm in die Augen und neigte dabei leicht den Kopf zur Seite. Seine schwarzen Augen schienen in einem eigenen Lichte zu erstrahlen.
    »Du hast noch nicht meine Frage beantwortet, Vater.«
    »Du hast mir keine Frage gestellt, Sohn.«
    »Mama hat recht, wenn sie sagt, dass es unmöglich ist, mit dir zu disputieren«, sagte er lachend. »Du scheinst nämlich immer recht zu haben. Von dir habe ich gelernt, dass man nie aufgeben darf, wenn man gewinnen will.«
    »Dann denke ich, dass ich dich das Richtige gelehrt habe.«
    »Also, ich wollte dir sagen, dass …«
    »Halt! Hast du es gesehen?«
    »Nein, was denn?«
    Der Jüngling drehte sich um. Der Vater legte ihm sanft den Finger unter das Kinn.
    »Nein, schau nach oben, zwischen die beiden Bergkämme.«
    »Zwischen den Höckern des Kamelgottes?«
    »Ja, schau.«
    Kurz darauf wanderten drei Lichter, eines nach dem anderen, genau durch diesen Himmelsabschnitt.
    »Vater!«
    Er hatte schon zuvor Sternschnuppen gesehen, aber noch nie war er von seinem Vater auf sie aufmerksam gemacht worden, bevor sie tatsächlich erschienen. Und nie waren sie so strahlend gewesen, so gleißend weiß und mit einem feuerroten Schweif.
    »Vater!« Seine Augen waren vor Staunen weit aufgerissen. Er lächelte. »Wie konntest du das wissen? Dann hat Mutter also recht, wenn sie sagt, du wärst ein Zauberer!«
    »Deine Mutter hat immer recht«, antwortete sein Vater und hob den rechten Zeigefinger, »doch dieses Mal erlaube ich mir, ihr zu widersprechen. Zauberer

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