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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Engelsburg priesen die Fischer lauthals die Qualität ihrer Fische an. Auf behelfsmäßigen Karren lagen Karpfen, kleine Strömer, große Döbel und Meeräschen. Eine bunte Mischung aus Mägden und Nonnen tummelte sich auf der Brücke, um die Ware kritisch zu beäugen. Die Fischer machten Scherze mit ihren Aalen, die sich um ihre Handgelenke schlängelten, und liefen zweideutig lachend hinter den Frauen her.
    Ada Ta überquerte die Brücke und gelangte schließlich an den Eingang der Engelsburg. Linker Hand erkannte er in unmittelbarer Nähe den Glockenturm der größten Kirche Roms. Sanft strich Ada Ta über Īsās Buch, das er in einer Schultertasche bei sich trug, und wandte sich der großen Treppe der Basilika zu. Dort wohnte der Papst, und dort waren seine Vorgänger beerdigt. Während sein Herzschlag immer ruhiger wurde, dachte er zufrieden daran, dass nun bereits der zweite Teil seines Plans erfolgreich umgesetzt war und nun der dritte auf ihn wartete. Manchmal erschienen die Geschichten der Menschen kompliziert, doch wenn man sie von oben betrachtete, waren sie nur ein Teil eines großen, einfachen Plans. Darum hatte er ein Leben in den Bergen gewählt.
    Von dort oben hatte er gespürt, dass es kein Zufall gewesen war, dass er dem Grafen von Mirandola begegnet war und dass auch dessen Tod und die Übergabe des Geheimnisses an jenen stattlichen und starken Mann Teil eines größeren Plans war. Ein einziger Same, vom Wind verweht, kann am anderen Ende der Welt einen Wald erschaffen; und die Wolken über den Wassern des Ganges können mit denen über dem Tajo ineinanderfließen und eins werden. Alles würde sich wie in einem großen Schicksalskreis zusammenfügen; dann wären Anfang und Ende vereint. Und auch Gua Li war zu einem ganz bestimmten Zweck auf die Welt gekommen. Natürlich darf man nicht erwarten, dass die Ereignisse sich von selbst ereignen – und dass er jetzt die majestätische Treppe der Basilika erklomm, war ein kleiner Schritt, der sich harmonisch in den großen Plan des Lebens einfügte und zu seiner Erfüllung beitrug.

40
    Florenz, Santa-Maria-Novella-Kirche,
am gleichen Tag
    Zum dritten Mal drangen die Schreie der Frau durch die dicken Mauern ihrer kleinen Zelle. Sie hallten über den Korridor und gingen durch die Klostermauern hindurch, bis sie zu den Ohren des alten della Robbia gelangten. Seine Beine zitterten. Die Schreie schienen direkt aus dem Inferno zu kommen, und beinahe wäre ihm der Heiligenschein des heiligen Franziskus vor Schreck auf den Kopf seines Gesellen gefallen, der die Leiter hielt. Die Lünette war ihm sehr wichtig, denn mit der Umarmung der beiden Heiligen Franziskus und Dominikus war er von Savonarola persönlich beauftragt worden. Für die Florentiner sollte sie den Frieden zwischen den beiden Orden symbolisieren und die Republik Christus weihen. Die Glasur hatte leichten Schaden genommen, und wie immer war er dem Ruf Bruder Girolamos unverzüglich gefolgt.
    Die Schreie dieser Frau brachten ihn vollkommen aus der Ruhe – sie ließen seine Hände zittern, und er befürchtete, mit seiner Arbeit nicht vor Ankunft des heiligen Bruders fertig zu werden. Mutter Ludovica kam angelaufen, und er sah die Novizin kurz vor einer Nervenkrise.
    »Heiliger Jesus!«
    »Gelobt sei er, meine Tochter. Was geschieht denn noch?«
    »Ich weiß es nicht, Mutter. Sie schreit und windet sich.« Die junge Novizin war kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Sie weint und klagt und schwitzt. Und ich bringe es nicht über mich, ihren Leib zu berühren. Oh, Mutter, und wenn sie gar von einem Dämon besessen wäre?«
    »Sprich doch keine Dummheiten. Glaubst du etwa, der Bruder hätte sie aufgenommen, wenn sie eine Hexe wäre, die Satan den Hintern küsst?«
    »Heilige Mutter!«
    »Wenn du – außer deiner Seele – die ganze Welt retten möchtest, dann musst du noch einiges sehen und noch mehr hören, meine Tochter. Es wäre gut, wenn du dich alsbald daran gewöhnen könntest. Nun gehe zurück zu ihr und versuche, ihre Hand zu halten, auch wenn du dabei ihren Leib berühren musst. Damit begehst du keine Sünde. Und tue sonst nichts weiter. Bald kommt der Mönch und wird uns Anweisung geben, wie wir verfahren sollen.«
    Von Mitbrüdern und ein paar bewaffneten Jünglingen umgeben, begrüßte Girolamo Savonarola den Glasmeister und nickte zufrieden, als er den vergoldeten Heiligenschein des heiligen Franziskus wieder glänzen sah.
    »Gott segne Euch, Meister della Robbia.«
    »Und Euch auch, auf

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