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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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mehr vor Seiner Barmherzigkeit als vor Seinem Zorn. Und nun geh, und lass mich allein, mit Ihm .«
    Savonarolas Prophezeiungen ließen nicht lange auf sich warten. Die Truppen der Arrabbiati und allen voran die Medici-Schergen waren immer zahlreicher in Florenz unterwegs. Es verging kein Tag, an dem nicht irgendein Handwerker in seiner Werkstatt angegriffen wurde, nur weil er ein Getreuer der Republik Florenz war. Und es gab keine Richter, die man hätte anrufen können, denn sie alle zuckten nur mit der Schulter und warteten mit ihren Urteilsverkündungen ab, aus welcher Richtung der Wind nun wehen würde. Wer mit der Dominikanerkutte bekleidet auf die Straße ging, riskierte mittlerweile Leib und Leben – und verlor am Ende beides: Wenn er die Knüppelschläge überlebte, erledigten die eisigen Gewässer des Arno den Rest.
    Nach ein paar Tagen, an denen sich die Schwalben bereits in die lauwarmen Wolken verliebt hatten, kam der Winter mit aller Macht zurück. Es schneite ungeahnte Mengen, und die Stimmung der Florentiner kippte auf den Nullpunkt. Die erzwungene Ruhe brachte sie außerdem zum Nachdenken und schürte die Befürchtungen der Zweifler. Das Schwert des Interdikts schwebte über ihren Häuptern, und so, wie die Schneemassen die Hausdächer zum Einbrechen brachten, so brachen auch die Reihen der Befürworter Savonarolas ein: Die Zahl der Piagnoni schrumpfte Tag für Tag. Und so auch die Hoffnung von Francesco Valori, ihrem Kapitän, der von Savonarola nach wie vor nicht die Freigabe erhielt, Söldner anzuheuern.
    Selbst Osman war vorsichtiger geworden und ging seltener auf den Markt.

    »Dann wusstest du also über alles Bescheid?«
    Ferruccio hielt ihre Hände und war ungehalten über d as Geheimnis, das seine Frau, Gua Li und selbst Zebeide mitein ander teilten. Nur er wusste nichts. Gua Li verließ das Zimmer, um die beiden allein zu lassen.
    »Wir hatten befürchtet, dass du damit nicht einverstanden sein würdest«, flehte Leonora, »und dass du dich den Medici stellen würdest.«
    »Wie konntest du nur glauben, dass ich dich noch einmal alleine lassen würde?«
    »Die Zeit verändert sogar die Umrisse der Berge und lässt die stärksten Bäume umfallen, Ferruccio. Ich hatte auch Angst. Du verlässt mich nicht mehr, nicht wahr?«
    »Meine Liebste, nie wieder.«
    Gedankenverloren blickte Ferruccio zum Fenster hinaus auf die Dächer von Florenz. Der Abschied würde ihm schwerfallen – aber er hatte noch eine Aufgabe. Eine Verpflichtung, der er sich niemals entziehen würde. Ein Schwur, den er drei Jahre zuvor am Totenbett Mirandolas geleistet hatte und der sie für immer miteinander verband. Wenigstens war sein Haus unversehrt. Er schob den großen Küchentisch beiseite, löste eine Kachel aus dem Boden und holte ein kleines Päckchen heraus, das in einen öligen Lappen gewickelt war. Er packte es aus und strich mit seinen Fingerspitzen über den Bucheinband aus rotem Ziegenleder. Es war das letzte Original der philosophischen Thesen des Giovanni Pico, des Grafen von Mirandola. Es waren die Thesen, die Ada Ta und Gua Li kannten. Für diese Thesen hatte sein einziger Freund sein Leben gelassen. Er musste das Buch bewahren und vor einer Welt beschützen, die für die Thesen noch nicht bereit war. Zusammen mit dem Buch Īsās könnte es, wenn die Zeit reif war, die Mächtigen blenden und die Türen zu einem irdischen Paradies öffnen.
    Ferruccio kannte nur einen Mann, der es ohne weitere Fragen – und bis über den Tod hinaus – aufbewahren würde. Denn auch dieser Mann hatte Giovanni geliebt, wenn auch auf andere Weise. Zwischen der Strada delle Fornaci und dem Vico delle Santucce stand ein Wohnturm, in dessen zweiten Stock er hinaufstieg. Mit blau gefrorenen Fingern klopfte Ferruccio an die Holztür. Eine hagere Gestalt öffnete, musterte ihn misstrauisch und hielt eine Laterne hoch. Als die Gestalt ihn erkannte, fiel ihr beinahe das Licht aus der Hand.
    »Der Freund eines Freundes ist mir stets willkommen. Tritt ein, doch störe dich nicht an der Armseligkeit meiner Behausung. Sie ist alles, was mir noch geblieben ist. Sie und die Erinnerungen. Und nun erzähle!«
    Sie erzählten einander zwar keine Neuigkeiten, aber sie sprachen lange über den Grafen Mirandola. Über sein Leben, aber auch über das, was nach seinem Tod geschehen war, und das verband sie mehr als eine übliche Freundschaft. Die Nacht brach herein, und Girolamo Benivieni teilte mit Ferruccio Brot und Käse, Kohlblätter und ein

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