Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
noch immer pechschwarz waren, bedeckte. Nur an den Schläfen kamen mittlerweile erste graue Stellen zum Vorschein, die ihm aber laut Leonora eine noch größere Autorität verliehen. Während Ferruccio ohne Eile dahinritt, vertrieb eine frische Brise die restliche Müdigkeit. Die mächtigen Muskeln des Pferdes hatten sich noch nicht einmal vollkommen erwärmt, als er bereits auf dem Anwesen der Serristori ankam; an jedem Wiesenstück und Wirtschaftsgebäude war das Familienwappen – drei goldene Sterne auf blauem Grund – angebracht.
Diesen Ländereien, die mit Weitblick und Sparsamkeit verwaltet worden waren, hatte die Krise in der Landwirtschaft nichts anhaben können. Die Bauern waren bereits an der Arbeit. Im Gegensatz zu den anderen Familien, deren Besitz dahinschwand, hatten die Serristori ihr bereits beträchtliches Vermögen durch die steigenden Preise für Weizen, Gemüse und Obst noch weiter vergrößert. In der Stadt bauten sie gerade auf einem Grundstück, das den Medici gehört hatte und das von der Republik Florenz konfisziert worden war, einen Palazzo, der dem der Tornabuoni in nichts nachstand. So wie viele andere auch hatten sich die Serristori auf den sterbenden Löwen gestürzt und seinen Körper verschlungen – obwohl er seine Ehre und seinen Reichtum mit ihnen geteilt hatte. Wenn die Medici zurückkehrten, um Florenz zu regieren, würden die Serristori nicht lange zaudern und ihr Fähnlein erneut nach dem Wind hängen – so funktionierte nun einmal die Welt.
Sein Pferd blieb stehen und holte Ferruccios Gedanken wieder zurück in die Realität. Vor dem Anwesen tummelten sich ungewöhnlich viele Menschen, und an den schwarzen Kitteln konnte er erkennen, dass gerade zwei Bader das Haus betraten. Das Pferd begann nervös den Kopf zu heben und vorwärtszutänzeln. Ferruccio konnte das Tier kaum im Zaum halten.
Auf einmal sprang aus dem Abflussgraben ein halb nackter Mann vor ihm auf den Weg, der von oben bis unten mit Lehm beschmiert war. Wild mit den Armen um sich herumfuchtelnd torkelte er auf Ferruccio zu und versuchte, nach den Zügeln des Pferdes zu greifen, das sich verängstigt aufbäumte. Ferruccio kannte sein Tier gut. Er half ihm mit den Sporen, auf den Hinterläufen nach hinten zu entweichen. Dabei ließ er die Zügel locker, damit das Pferd sich beruhigen konnte. Als es ruhiger war, wandte Ferruccio sich an den Mann und befahl ihm, stehen zu bleiben. Ferruccio versuchte zu erahnen, was dieser vorhatte, aber die Schlammschicht auf seinem Gesicht war zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt. Der Mann antwortete nicht und versuchte stattdessen, sich am Steigbügel und seinem Stiefel hochzuziehen. Rasch ließ Ferruccio sein Pferd ausweichen und zurücktänzeln. Er hatte keine Angst, aber jahrelange Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass ein Wahnsinniger weitaus gefährlicher war als der geschickteste Feind.
Als wolle er ein Gespenst fangen, fuchtelte der Mann immer noch mit den Armen herum, im nächsten Augenblick drehte er sich blitzschnell zur Seite und hielt sich die Hände vor den Leib gepresst. Unvermittelt würgte er heftig eine giftgelbe Flüssigkeit hervor. Als hätte ihn ein Pfeil durchbohrt, bäumte er sich in einem letzten Krampfanfall auf und sackte schwerfällig zu Boden, wo er rücklings mit aufgerissenen Augen und obszön gespreizten Beinen liegen blieb.
Ferruccio war unschlüssig. Er sah, wie sich die Brust des Mannes unter den fliehenden und röchelnden Atemzügen hob und senkte. Sein Herz sagte ihm, dass er helfen müsse, doch sein Instinkt hielt Ferruccio zurück. Er stieg vom Pferd, führte es ein paar Meter weg und beruhigte es mit einem kräftigen Klaps auf den Hals. Vorsichtshalber zückte er dann sein Schwert, um sich den infizierten Körper vom Leib halten zu können. Obwohl der Mann nur noch flach atmete, entwich seinem Mund ein unglaublicher Gestank – der Geruch verfaulenden Fleisches.
Ferruccio kannte diesen Gestank seit der Schlacht von Pietrasanta: Am Tag nach dem Gemetzel hatte es auf das Schlachtfeld geregnet, und der Regen hatte den beißenden Geruch des Todes noch verstärkt. Mit klopfendem Herzen näherte sich Ferruccio dem Mann und begann unwillkürlich zu beten – zu einem Gott, den er seit vielen Jahren nicht mehr anerkannte und der ihn wohl auch diesmal enttäuschen würde …
Sein Gebet wurde nicht erhört, und wie er es erwartet hatte, sah Ferruccio zwischen den Beinen des Mannes, nahe der Leiste, das Zeichen Seines Zorns: eine dick
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