Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
eine Horde Schweizer Söldner vorbeigekommen, die mit Knüppeln und Feuerlanzen über das Haus hinweggefegt waren. Hier und da rauchte noch einer der mächtigen Dachbalken. Sobald das Gemäuer abgekühlt war, würden die Totengräber der Natur – Füchse und Hunde – das Regiment übernehmen, wusste Ferruccio.
Eben hatte die Glocke des Eremiten zur neunten Stunde geschlagen: Leonora trug Klatschmohn und Margeriten auf dem Arm. In einem Lederbeutel hatte sie duftende Veilchen gesammelt. Als Aufguss mit Orangenschalen und Honig gesüßt, würden sie im nächsten Winter ein hervorragendes Hustenmittel sein. Am Eingang des Hauses war Ferruccio stehen geblieben, um den frischen Duft der Zitronen zu genießen, die mit ihrem Gewicht bereits die Äste verbogen. Die Stimme Leonoras erklang im ersten Stock, und zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte Ferruccio die Treppe hinauf.
»Nun, mein Gatte, ist die Quarantäne beendet?«
»Es sieht so aus, als hätten wir nichts mehr zu befürchten«, antwortete er ihr. »Das Feuer hat alles zerstört … sogar die Soldaten sind abgezogen.«
Leonora nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und küsste Ferruccio auf den Mund.
»Und nun? Bist du zufrieden?«
»Natürlich bin ich das, aber ich denke auch an die Toten. Und dass es ausgerechnet die Gebete waren, die die Ansteckung aufgehalten haben sollen, kann ich nun wirklich nicht glauben.«
»Vorsicht, Ferruccio, wenn dich der Mönch hört …«
»Ah, natürlich. Für ihn hängt alles vom Willen Gottes ab, auch wenn die Kuh ein totes Kalb gebiert.«
Leonora holte einen schweren Folianten aus ihrem Schrank und schlug mit der flachen Hand darauf.
»Das ist ein Werk aus Giovanni Picos Nachlass. Es ist die Geschichte der Pestilenz in Granada und wurde von einem gewissen Ibn Al Khatub, einem arabischen Gelehrten, verfasst. Ich habe dieser Tage darin gelesen. Er erklärt in einfachen Worten, wie die Pestilenz ihren Anfang nimmt und wie die Ausbreitung vonstattengeht: Die Ratten verbreiten die Krankheit. Und sie vermehren sich dort, wo es unreinlich ist. Es ist wirklich nicht der Wille Gottes, dass die Pest umgeht, das glaube ich auch nicht.«
»Was? Du glaubst auch nicht an Gott?« Ferruccio lächelte sie an. In seinem Blick lagen Liebe und Stolz.
»Du weißt genau, was ich meine. Und da Giovanni mir das Buch überlassen hat, wollte er wohl, dass ich es auch lese.«
»Ich wünschte mir, er wäre noch unter uns.«
»Aber nicht in diesem Moment.«
Leonora stellte den Folianten zurück in den Schrank und näherte sich Ferruccio. Sein Geist war zwar noch besorgt, doch sein Körper zeigte sich offensichtlich unbeeindruckt davon. Und weil die Lust die mächtigste Medizin gegen jede Art von Schmerz ist, dirigierte Leonora ihn zu der Ottomane in seinem Studierzimmer und setzte sich rittlings auf ihn. Als sie seine Hand auf ihre Brust legte, schloss Ferruccio die Augen und beugte sich vor, um Leonora auf den Hals zu küssen. Leider blieb ihm nicht die Zeit, diesen Moment der Intimität zu genießen, denn ein Geräusch ließ ihn aufschrecken. Vor ihm stand eine zitternde Zebeide, die ihre Schürze zwischen den Händen zerknüllte. Sie keuchte wie ein Blasebalg und war ganz rot, weil sie so hastig die Treppe hinaufgeeilt war.
»Zebeide, sag mir …«
Mit einem Seufzer nahm er seine Hand von Leonoras Busen, während sie in einer Mischung aus Lachen und Scham ihr Gesicht auf seiner Brust verbarg.
»Mein Herr, eben kam ein bewaffneter Reiter an. Er gefällt mir übrigens ganz und gar nicht – er sieht mir wie ein Soldat aus. Ich habe unverzüglich die Tür geschlossen, aber er hat nicht angeklopft. Ich glaube, er ist immer noch unten, im Hof.«
Schweren Herzens stieg Leonora von ihrem Mann, damit er nachsehen konnte. Aus dem Fenster im ersten Stock sah Ferruccio eine robuste Person, die im Hof auf und ab schritt. In den Bewegungen des Mannes war keine Feindseligkeit zu erkennen, obwohl er an der Seite ein Schwert trug. Es war hervorragend gearbeitet, das erkannte Ferruccio auf den ersten Blick. Gedungene Mörder verstecken ihren Dolch unter ihrem Umhang, damit sie aus dem Hinterhalt zuschlagen können, überlegte Ferruccio. Wer sein Schwert hingegen offen zeigte, trug es hauptsächlich, um möglichen Angriffen vorzubeugen oder Missetäter abzuschrecken.
»Was wünscht Ihr, mein Herr?«, rief Ferruccio aus dem Fenster.
Der Fremde hob den Blick, drehte den Kopf nach rechts und links und schaute dann wieder zu ihm hoch. Er war aufmerksam
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